Jurystimmen

Dr. Horst Christoph, Dr. Elmar Schübl, Daniel Ranner

Krachmann 2012

 

Der Krachmann-Preis ist wieder da! Nach vorübergehendem Schwächeln im vergangenen Jahr hat der Waldviertler Literaturwettbewerb heuer wieder Fahrt aufgenommen. Urgesteine wie Victor Stehmann, Markus Spiegelfeld und Stefan Wurst belebten durch physische Präsenz die vertraute Eisengrabener Runde, einzig das Fehlen eines krachfraulichen Beitrags sei hier ausdrücklich vermerkt.
Auch die Zahl der Beiträge zeugt von der Vitalität des literarischen Concours, sie hat mit 14 schon fast das zu bewältigende Limit einer Soiree erreicht. Kein Wunder, dass von uns Juroren deshalb die Kürze als nicht zu verachtende Würze der Beiträge empfunden wurde – daran wird sich auch im nächsten Jahr nichts ändern!

Bei der Beurteilung des gestellten Themas – „Das alte Lied der Taiga“ – hielten sich kontroversielle Teilnehmerstimmen die Waage. Die negativste kam von Ondrak & Gruber („beschissen wie jedes Jahr“), geradezu euphorisch dagegen Stefan Wurst („interessantes, intellektuell anspruchsvolles, reizvolles Thema“). Wer erinnert sich da nicht an Christian Weimanns Aufschrei von 2008 angesichts von „Volapük“: „Wer ersinnt solch ein Thema?“

Nun zu den einzelnen Beiträgen in der gelesenen Reihenfolge: Markus Steinbichler eröffnete den Abend und unterhielt uns mit Reminiszenzen an erfolgreiche Schlager der älteren und jüngeren Nachkriegszeit. Christian Ondrak & Andreas Gruber belebten die literarische Tradition der Poly-Autorenschaft mit einem mit verteilten Rollen gelesenen, teils auch gesungenen „Road Movie“, das uns in einem Lada Taiga – das sowjetrussische Kultauto sollte noch mehrmals an diesem Abend zum Themenschlüssel werden – über den Balkan, Odessa und Kiew, St. Petersburg, Moskau und Nowgorod schließlich zum Namensgeber der Fahrzeugs, die sibirische Taiga, führt.
Erfrischend kurz nach diesem Epos war Markus Spiegelfelds lyrisches Scherzo, das sich nach weniger als 35 Kurzzeilen mit dem elegischen Satz „Do swidanja – weiss nur der wind“ in die Atmosphäre verflüchtigt.
Stefan Wurst
zeigte, nach einem Jahr der erzwungenen Abwesenheit, wie wichtig die persönliche Interpretation durch den Autor, aber auch dessen sich in ansteckendem Lachen manifestierende Freude und Begeisterung am eigenen Text ist. Das eigene Auto als Ziel unser aller Sehnsucht, die unternommenen Anstrengungen, Fehlschläge und schließlich Erfolge, dieses Ziel zu erreichen, sind Themen dieser in keinem Satz zum Stillstand kommenden Geschichte, die mit dem zweiten Preis prämiiert worden ist. Dass der Autor mit seiner abschließenden überraschenden Sprachschöpfung eines Hauptwortes „Taiga“ als Synonym für „Unterhaltung, Beisammensein, Diskussion“ den Krachmann-Abend an dessen eigentliche Bestimmung erinnerte, ist ein kleiner Geniestreich und eine große sprachwissenschaftliche Sensation!Auch der Wiener Prater ist zweifellos ein Ort der Sehnsucht.
Mit kleinen Störungen, aber letztlich auch kleinem Glück, wie uns Michael Gassner in seiner Kurzgeschichte über Picnics auf ISO-Matten, Slackliner und Herrn Schöberl mit seinem Hund Bauxi erzählt.
Stefan Loicht
war in den letzten Jahren schon so was wie „abgestempelt“ als „poeta doctus“, der sein „überbordendes historisches Wissen“ – alles Jury-Urteile – als „Hymne an die Bildung“ feiert und schließlich „ad absurdum“ führt. Als wollte er das ein für allemal widerlegen, hat er sich heuer mit einem Text präsentiert, der durch journalistischen Anspruch überrascht, ohne dabei auf lyrische Töne zu verzichten. Das eine wird geradezu durch das andere untermauert. Thema ist die „E 5“, die alte Gastarbeiterroute quer durch Österreich: Sehnsuchtspfad von Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben in der Fremde und den nicht zu kappenden Wurzeln in der verloren gegangenen Heimat. Diese höchst gelungene Behandlung des Themas „Sehnsucht“ überzeugte die Jury, die Stefan Loicht für diesen letztlich doch auch wieder sehr eindrucksvollen (und diesmal regional- und zeit-)geschichtlichen Beitrag mit dem Krachmann-Preis 2012 auszeichnete. Wir ziehen den Steirerhut und gratulieren herzlich!
Für überraschende Töne – ironische wie subtil autobiographisch berührende – ist Günter Nowak bekannt. Sein diesjähriger, dem Wirtschaftszweig „UFO-Tourismus“ gewidmete Beitrag bescherte uns die Wiederentdeckung eines vom Stalinismus verschonten Volksstamms, jenem der Wepsen. Ebenfalls irgendwie abseits vom gestellten Thema machte uns Wolfgang Weißensteiner in seinem kurzweiligen Gedicht dann aber doch darauf aufmerksam, dass es in heimischen Biotopen überraschende Formen der Sehnsuchtskultur gibt.
Matthias Karrer
verdanken wir Einblicke in die österreichische Mediziner-Beamtenmentalität und was daraus in galaktischer Zukunft werden könnte. Es würde nicht überraschen, wenn Lars von Trier diesen Krachmann-Erstling aufgreift, um die sehnsüchtig erwartete dritte Staffel von „Geister“ (das ist die dänische Antwort auf Twin Peaks) endlich in Angriff zu nehmen.In dramatischer Dialogform, wechselnd mit epischen Schilderungen greift Gregor Zentner breit aus, um Beziehungsbefindlichkeiten mit Krachmann-Stress in Verbindung zu bringen.
Auch Victor Stehmann zeigte, dass physische Lesepräsenz durch keine noch so bemühte Videobotschaft zu ersetzen ist und erfreute und beeindruckte mit seinem unverwechselbaren Sprachwitz.
Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal an diesem Abend wird bei Christian Weimann das gestellte Thema, in einer sehr unterhaltsamen Weise, zur Reise in eine konkrete Vergangenheit – mit der „Damaligen“ (Freundin) und dem „Damaligen“ (Auto) ins damalige Sehnsuchtsland (Griechenland).
Aufgrund krankheitsbedingter Abwesenheit las Reinhard Mechtler dankenswerterweise den Text des letztjährigen Preisträgers. Der eigentlichen Kernproblematik des Krachmann-Preises stellte sich tapfer Bernhard Mitterer. Sein Beitrag handelt von der Sehnsucht nach einem gelungenen Text zu gewiss herausfordernden, manchmal auch als quälend empfundenen Themen. Für seine Meisterung der diesjährigen Krachmann’schen Aufgabe wurde ihm der vierte Preis zuerkannt.
Die Sehnsuchtswelt auf einer Dienstreise erlebt. In diesen Rahmen stellt Michael Rufus Drucker seine fesselnde Geschichte, die in einer fiktiven Realität des heutigen Russland, zwischen Babuschka, Bergbau, Bordellen und Billard angesiedelt ist. Russisches Billard, das bedeutet Wodka nach jedem Treffer… und den dritten Preis für einen wunderbaren Ausklang des heurigen Lesemarathons.

Für das heimelige Klima im wie immer schon recht frostigen Waldviertel und für kulinarische Köstlichkeiten (Wachteleier und Juroren- äh Jura-Huhn?!) auch abseits der bewährten Feuerstelle danken wir unseren Gastgebern herzlichst.