Fug und Unfug

Gregor Zentner

Noch bevor er wach ist. Noch bevor er sowas wie die Schritte und die Vögel oder das Röcheln der Lüftungsschlitze wahrnimmt oder den Geruch des Bodenputzmittels, diesem süßlich seifig, aufdringlichen Bodenputzmittels, das ganz gelb ist und sogar gelb riecht; am Tag nach dem Bodenputzen noch mehr als beim Bodenputzen, so als würde es mit den Stunden ein wenig den Boden aufschmelzen und dadurch erst riechen – vielleicht glänzt der Boden deshalb so weil er schmilzt und wieder erstarrt wie Couvertüre.

 Noch bevor diese Dinge auf Ihn einstürzen reibt er seine Füße ein wenig aneinander. Er spürt die Bettlaken. –so glatt und hart. Es fühlt sich an wie gebogenes Styropor. Es fühlt sich hohl an und kühl, solange er nicht darauf achtet; achtet er drauf ist es eh warm –aber eben von einer trockenen, styropornen harten Wärme. Weich ist das Laken dort wo er es weichbewegt hat – nur in dieser schmalen Höhle ist es weich – obwohl er immer genau so aufwacht wie er einschläft. Immer am Rücken. Immer in der Mitte. Immer die Hände zur Seite. Nur die Füße wandern ein wenig zur Seite aber erst am Morgen und nicht während er noch schläft sondern eigentlich kurz danach, wenn Paula glaubt er schlafe noch und er schon längst wach ist.

Es ist ihm einRätsel was Sie immer so tut, aber er hat aufgehört es herausfinden zu wollen – zu sehr genießt er die Ruhe oder die Gewohnheit, dass es ruhig ist .

Eine Stimme, die Ihn an seinen Großvater erinnert, oder nach seinem Großvater riecht –so wie er abends roch.. ein wenig nach Wein und Tabak – von jedem nur wenig- befiehlt ihn in den Rhythmus der Redlichkeit. Nein es stört nicht, dass es jetzt fast kalt ist  - manchmal ist es auch heiß aber heute kalt aber du frierst nicht schnell wenn du weisst, dass es ganz schnell wieder heiß werden kann. Zumindest in der Dusche.

Er riecht noch immer ganz gut, findet er. So wie er halt riecht – so wie immer – gut .. Am Morgen ein wenig bitterer vielleicht als  später.  Es ist  fast schade um den Geruch, den abzuduschen – aber das muss halt schon so sein und endlich hat es auch gar keinen Sinn etwas dagegen zu tun. Hat oder macht keinen Sinn.. im Fernsehen hatz einer gesagt. „Macht keinen Sinn“ – auch egal wenn es eh keinen Sinn ergibt.

Er steht  vor dem Bett und überlegt, ob er das mit der Dusche jetzt wirklich machen muss. Paula ist´s sicher egal – die sagt ja eh nie was und so kann er auch Zeit sparen. Für wen kann er denn Zeit sparen? Egal was er hat das hat er. Er will nicht duschen obwohl seine Füße kalt werden. Vielleicht nur ein bisschen warten .

Solange Paula nicht merkt, dass er schon auf ist, ist alles besser. Da kann er sich das mit dem Duschen noch in aller Ruhe überlegen, solange er will und dafür braucht. Er kann so leise sein, dass Paula vergisst, dass es ihn gibt. Natürlich weiß sie, dass er da ist -  natürlich so wie er weiß, dass sie da ist. Sie ist immer irgendwie da – außer beim Duschen, wenn er in der Wanne sitzt und das Wasser um die Ohren rauscht und der ganze Schaum sich wie ein Geruchspanzer um Ihn wolkt.  Das Duschen ist immer eine große Überwindung, weil es einerseits Aufgabe ist, zumindest ein Teil von ihm muss sich dafür aufgeben und zum anderen die Sache mit der eigenen Wahrnehmung.

Paula sitzt in der Früh immer in der Küche vor dem Zimmer. Er rutscht mit seinen Pantoffeln über den Fußboden, der so glatt geworden ist, dass er nicht einmal mehr quietscht. Paula draußen ist schon so ewig in der Küche, dass sie die Farbe der Wand angenommen hat- stellt ersich vor – und wie sie das macht mit ihrer frühmorgendlichen, einschüchternden Adrettheit – so fertig und so, dass jetzt, würde sie tot umfallen, sie sich nicht schämen bräuchte und er nicht für sie – vor wem auch immer. Im Tod wird man geruchsmäßig zwangsläufig sehr mitteilsam.. entseelt exdeodorant – aber heute wird das nicht passieren.

Er wartet und horcht. Nichts tut sich in der Küche. Er rutscht mit seinen Pantoffeln, eigentlich gleitet er zur Garderobe gegenüber der Badezimmertüre und nimmt seinen Bademantel.

Vor der Türe sind  plötzlich Schritte und Stimmen und ein Klirren und Rollen. Er verschwindet schnell im Bad und duscht demütig.

Letzte Woche oder so hat er seine eigenen Knie nicht erkannt. Die waren so graublau, dass er schon glaubte man hätte ihm die falschen Beine angezogen – aber das machte überhaupt keinen Sinn – da passt das „macht“ ganz bestimmt .

Paula ist jetzt sicher schon einkaufen gegangen. Das Frühstück steht lieblos neben dem Bett auf dem Beistellrolldings – in Plastik- Plastikhäferl und Plastikteller und Plastiktellerdeckel. Alles ist so einheitlich lauwarm, der Teller, das Häferl und sogar der Tee – immer lauwarm.. auch in der Dusche lauwarm.. nicht richtig heiß  .. sogar die Suppe wenn´s welche gibt, auch die Suppe ist lauwarm – nie so, dass er sich den Mund verbrennen könnte oder so dass er schwitzen könnte. Lauwarme Suppe schmeckt kalt. Man sagt ja im Restaurant wenn die Suppe eigentlich lauwarm ist, sie sei kalt. Und wenn er den ersten Schluck vom metallischen Löffel nimm ist die Suppe beim ersten Schluck kälter als beim zweiten, wenn sich der Löffel angewärmt hat. Suppe die wärmer wird beim Essen. Suppe muss kühler werden beim Essen sonst stimmt ´s nicht.

Einmal an einem sehr heißen Tag hat er geschwitzt und es gab Suppe. Das muss aber nicht an der Suppe gelegen haben.. wahrscheinlich lag nur daran, dass es ein heißer Tag war und irgendwas mit der Lüftung war – aber da hat er geschwitzt. Da ist aber gleich die Umzieherin gekommen und hat ihn umgezogen, weil wenn er schwitzt und dann wird es kalt, das kann bös ausgehen und das wollen wir doch nicht. Schade um den Geruch hatte er sich noch gedacht. Die Schwester riecht auch gut. Am Morgen besser als am Nachmittag.

Paula ignoriert die Schwestern mit einer herablassenden Selbstverständlichkeit- mit einer „Nicht-einmal-Guten-Morgen-Sagen-Ignoranz“. Sie bleibt dann partout in der Küche sitzen und .. ich glaub sie raucht wieder.

Später auf seinen Wegen begegnet er vielen Leuten, aber eigentlich niemanden. Die Leute grüßen. Mansche laut und manche so leise, dass Sie es sich auch hätten sparen können, denkt er sich dann. Er grüßt nicht mehr – er redet ja auch nicht mehr mit ihnen. Er spaziert einfach gerne so lange geradeaus bis er wieder zu Hause ist.
Das mit der lauwarmen Suppe stört ihn eigentlich gar nicht immer – nur an manchen Tagen – dann aber sehr.

Wenn Besuch kommt geht Paula. Paula mag keinen Besuch. Da geht sie die große Runde spazieren. Die Besucher sagen, dass das schon in Ordnung sei, weil sie ja ihn besuchen wollen und wenn Paula lieber weggeht sei das eben in Ordnung. Er hat öfter Besuch. Die Leute sind sehr nett zu ihm  - manchmal auch ein wenig aufdringlich und geben ihm zu Begrüßung und zum Abschied einen Kuss auf die Wange – das ist dann doch ein bisschen zu viel.

Sie kennen ihn von früher –er war einmal berühmt meint er. Das ist gut, weil die Leute dann wissen was er mag, zum Essen und zum Lesen und so ..

Er scheint nicht dafür berühmt gewesen zu sein, dass er heiße Suppe schätze – offensichtlich – oder die Leute gehen davon aus, dass Paula heiße Suppe hinbekommt –tut sich aber nicht.

Heute Abend will er es endlich ansprechen – aber wenn er dann schlafen geht abends und sie kommt dann zu ihm kurz ans Bett. Sie geht dann später schlafen – immer, dann riecht er sie bloß und denkt nicht mehr an Suppe.