FREITAG

Reinhard Mechtler

Endlich Freitag! Wochenende vor der Tür, Freitag der 13. – schwarzer Freitag, Karfreitag.

Kein Wochentag hat mehr Bedeutung als Freitag.

Der überregional bekannte Fleischermeister Ambrosi zog die Roll­läden in seinem Geschäft auf und öffnete auch die Nebentür zu ­seinem kleinen Imbiss. Sein wohlgeformter Körper zeigte, dass er der Fleischeslust im wörtlichen Sinne zugetan war, zumal er selbst seine eigenen Produkte höchste Wertschätzung entgegen brachte. Gerade heute nach dem Schlachttag am Donnerstag, war dies immer ein besonderer Tag, denn seine Spezialitäten wie Blutwurst, Leberwurst, Innereien, gebackenes Hirn wurden als Spezialität angeboten und er freute sich schon auf seine Stammgäste, die ritualmäßig im Laufe des Vormittags kamen, jeweils das gleiche Menü bestellten und wie bei einer Theatervorstellung jeweils mit den gleichen Bemerkungen wie „Diesmal besonders gelungen“, „diese feine Würze“ Bestätigungen über den lustvollen Genuss der vorgesetzten Speise von sich gaben.

Der morgendliche Blick fiel auf eine Urkunde, in der bestätigt wurde, dass Fleischermeister Ambrosi im letzten Jahr bei der Europameisterschaft für Blutwürste den 2. Platz gemacht hatte und damit sogar mehr als nationale Anerkennung erreicht hatte. Dies diente zur täglichen Motivation.

Ludmilla seine treue Ehefrau trat zu ihm, wünschte ihm nochmals einen guten Morgen und begann alle Vorbereitungen durchzuführen, denn wie üblich kamen die ersten Stammgäste bereits zwischen ½ 8 und 8 und da sollte schon alles fertig sein. Gerade der gestrige Tag hatte besonders viel Arbeit gebracht, da am Wochenende Erntedankfest angesagt war und wie im Ort üblich, auch die eingesessenen Nahversorger ihren Beitrag leisten mussten. So war es schon seit Jahren Tradition, dass Fleischermeister Ambrosi einen Teil eines Umzugs­wagens mit Köstlichkeiten aus seinem Betrieb schmückte und seit dem letzten Jahr im Besonderen eine zumindest 4-fach geschwungene mindestens 5 Meter lange Blutwurst als Dekoration verwendete, die dann im Zuge des Festes von den Besuchern verspeist wurde.

Da gerade am Freitag die fleischlichen Köstlichkeiten präsentiert ­wurden, hatte bereits den lokalen Pfarrer auf den Plan gerufen, der zwar kein Kostverächter war jedoch versuchte, Fleischermeister ­Ambrosi ins Gewissen zu reden, ob er nicht den Schlachttag verschieben könnte und seinen wenigen Getreuen die Möglichkeit zu geben, einen Fasttag am Freitag einzulegen. Jährlich wurde der Pfarrer durch jeweils einen halben Meter Blutwurst korrumpiert und somit verstummte die Kritik im Sinne „auch eine Blutwurst kann ein Maul Stopfen“.

Ganz ungetrübt war der heutige Tag jedoch nicht, denn am Abend war Besuch der Tochter angesagt, was in jedem Fall zu Spannungen führen würde. Seine Tochter, getauft Cäcillia, aber immer nur „Zezi“ genannt, war seit dem 14. Lebensjahr eingeschworene Veganerin, was nicht weiteres verwunderlich war, da der Vater anlässlich ihres 12. Geburtstages ihr die Schlachtung des Lieblingsschweines „Berti“ vor­geführt hatte, was das Vater-Tochter-Verhältnis nachhaltig er­schütterte. Jeder noch so gut gemeinte Versuch sie umzustimmen unter dem Titel „das ist der beste Schinken von ganzen Land“ führten jedes Mal zu Reaktionen, „Papa willst du nicht eine Karotte?“, womit die Gesprächsbasis abriss.

Auch der heutige Abend verlief nicht anders, Ludmilla versuchte auszugleichen, der Small-Talk plätscherte dahin und die Tochter berichtete von ihrem Studium Betriebswirtschaft, da sie mit 15. Jahren kategorisch abgelehnt hatte, den Betrieb ihres Vaters zu übernehmen. Diese Entscheidung wurde von Fleischermeister Ambrosi natürlich nicht zur Kenntnis genommen und auch die krampfhaften Versuche mit der Verkuppelung des bereits 35-jährigen Gesellen Leopold scheiterten an den großen weltanschaulichen Differenzen der beiden aber auch am Altersunterschied.

Das Gespräch des heutigen Abends nahm eine überraschende Wendung als Cäcillia eröffnete, dass sie ein eigenes veganes Restaurant aufmachen würde. Fleischermeister Ambrosi blieb der Mund offen, aber seine Zezi berichtete, dass sie schon ein Lokal in der Nähe zur Verfügung und auch mit der Bank bereits ein Grundsatzgespräch geführt hätte, dass eine Vorfinanzierung mittels Kredit sicherstellen würde. Die Verträge und der Kredit würden am Montag abgeschlossen sein, eine Eröffnung innerhalb von drei Monaten würde nichts im Wege stehen. Ob dieser Neuigkeit war Ambrosi vorab still. Ein zweiter Schnaps wurde fälschlicherweise durch Ludmilla als Zustimmung gewertet. Das nächtliche Wälzen im Bette wurde in weiterer Folge auf die doppelte Portion des Abendessens, da seine Zezi ja kein Fleisch gegessen hatte und natürlich entsorgt werden musste, zugeschrieben.

Der nächste Tag verlief prächtig, bereits in den Morgenstunden ­wurde mit dem Schmücken des Wagens begonnen. Unmittelbar nach dem Mittagessen warf sich Fleischermeister Ambrosi in Schale und sagte seiner Frau, er müsse einen kurzen Weg erledigen. Die Nachfrage von Ludmilla beantwortete er „er müsse noch ein paar Kunden besuchen, weil morgen hätte er keine Zeit im Zuge des Erntedankfestes mit ­ihnen zu reden“. Dass er gleichzeitig eine Tasche mitnahm, wurde ­seitens Ludmilla registriert, jedoch nicht überbewertet.

Schnurstracks fuhr Fleischermeister Ambrosi im Außenbezirk seines Ortes zu seinem Bankdirektor, den er im Freizeitlook überraschte und verwundert war, einen seiner besten Kunden am Nachmittag zu ­sehen. Ein kurzer Wortwechsel zwischen Ambrosi und dem Bank­direktor „Grüß Sie Gott Herr Bankdirektor, morgen können wir ja nicht plaudern, diesmal sei die Blutwurst besonders gut gelungen, wollte ich Ihnen kurz etwas vorbeibringen, damit Sie dies auch ge­nießen können“. „Na wunderbar, heute habe ich eh Gäste“, endete in der verhängnisvolle Frage des Bankdirektors „Kann ich noch etwas für Sie tun?“. Ambrosi auf das Stichwort wartend gab von sich „Ich habe gehört, Sie wollen meiner Tochter einen Kredit geben für ihr Geschäft“, er findet das ja ganz toll, obwohl der Herr Bankdirektor, der doch immer so korrekt sei und überlegen soll, ob dieser Kredit ohne Risiko wäre. Er solle sich das überlegen. „Sie wissen eh die jungen ­Leute sind euphorisch, aber so mit dem Arbeiten haben sie das nicht“. Nach Anbringen seiner Schlüsselbotschaft, verabschiedetet sich ­Fleischermeister Ambrosi froh, dies nicht weiter ausbreiten zu müssen und hoffte, dass diese Saat aufgehen würde.
Das Erntedankfest ging vorüber, eine besondere Ehre wurde Fleischer­meister Ambrosi durch den Bürgermeister angesichts der Europameisterschafts-Medaille für Blutwürste erwiesen, da er mit einem besonderen Orden des Ortes ausgezeichnet wurde. Essen und Trinken brachte die Leute zusammen, hochzufrieden ging das Ehepaar nach Hause, um nach diesem schönen Wochenende das Tagewerk der nächsten Woche zu beginnen.

Der Montag verlief ereignislos. Der normale Betrieb nahm seinen Lauf und wie üblich blieb Ludmilla zu Hause, da erstens am Montag wenig zu tun war und zweitens der normale Haushalt auch gemacht werden sollte. Müde vom Wochenende stieg Ambrosi am Ende des Tages in seine Wohnung hinauf um seine Frau zu begrüßen. Diese war jedoch nicht anwesend. Er fand einen Zettel am Tisch „Ich werde dich und deine Blutwürste verlassen, Ludmilla“. Ambrosi explodierte. „Blöde Weiber“ brüllte er durch das Haus, ging zum Kühlschrank nahm sich ein Bier und ein Brot und beschloss heute weniger zu essen, da er am Wochenende reichlich zugelangt hatte. Nach dem zweiten Bier ging er ins Bett und dachte sich „diese Spinnerei werde ich ihr schon austreiben. Sicher kommt sie um Mitternacht nach Hause“.

Auch am folgenden Morgen gab es keinerlei Spur von Ludmilla. Schweren Herzens musste er sich sein Frühstück nach mehr als
30 Jahren Eheleben selber machen. Dann begann er sich gewisse ­Sorgen zu machen, bzw. das schlechte Gewissen regte sich. War das mit dem Bankdirektor am Samstag doch keine gute Idee? Er ging hinunter ins Geschäft, sagte seinem Gesellen, dass er heute am Vormittag Wege hätte und versuchte seine Frau zu finden.

Ihr Bekanntenkreis war ihm nur ansatzweise bekannt und zum ersten Mal bei der besten Freundin seiner Ehefrau anzuklopfen, um zu ­fragen, ob Ludmilla vorhanden wäre, kostete unendliche Über­windung und er bemerkte den feixenden Blick der Freundin so unter dem Titel „ist dir deine Frau abhandengekommen?“. Sein Stimmungsbarometer schwankte zwischen Wut und Ohnmacht. Schließlich entschloss er sich, zum Bankdirektor zu fahren. Nach zehn Minuten bekam er sogar die Möglichkeit eines kurzen Gespräches und ohne ins Detail einzugehen, herrschte er den Bankdirektor an „ich glaube ­meine Bemerkung am Samstag war nicht richtig. Natürlich stehe ich für den Kredit ­meiner Tochter ein“, was wiederum einen verwunderten Blick erzeugte, denn der Bankdirektor teilte mit, dass er am ­gestrigen Tage seiner Tochter einen abschlägigen Bescheid gegeben hätte.

Das Schicksal seiner Tochter lag ihm wirklich am Herzen, jedoch die Absenz seiner Ludmilla mit all den Bequemlichkeiten schmerzte noch viel mehr. Dann erinnerte er sich, dass Ludmilla eine Schwester im Nachbarort hatte, die sie öfters besuchte. Kurz entschlossen stieg er ins Auto und fuhr in den Nachbarort. Diese Vermutung erwies sich zutreffend. Er sah seine Frau und wollte schon groß das Wort er­heben, doch das was er zu hören bekam und das vor einem Publikum von 5 anderen Damen, die verschwörerisch zusammen saßen, war ­alles andere als angenehm. So hatte Fleischermeister Ambrosi seine Frau noch nie erlebt. Eine wilde Beschimpfung und die Bekräftigung des Entschlusses des Verlassens, war die Konsequenz. Er kam kein ­einziges Mal zu Wort. Auch die anderen Damen der Gesellschaft ­gaben ihren Kommentar ab. Dann kam plötzlich ein Satz über seine Lippen, den er noch nie in seinem Leben zuvor getätigt hatte „Ludmilla ich entschuldige mich, das war ein Blödsinn“, was in weiterer Folge dazu führte, dass die vereinte Damenschaft erst recht verbal auf ihn einprügelte. „Ich hab das ganze eh schon rückgängig gemacht“.

Wie ein verlorenes Kind stand Fleischermeister Ambrosi mit seinen 135 Kilo vor den Damen und wusste nicht mehr, wie ihm geschah. Plötzlich trat die Schwester heran und sagte „du fährst jetzt zu Zezi im Nachbarort, entschuldigst dich und bietest ihr dein Lokal an. Sie kann dort machen, was sie will“. Ein Aufbegehren sowie die Erkenntnis ­seiner totalen Niederlage bewegte Fleischermeister Ambrosi zu dem Canossagang und er trat einer total verheulten Tochter entgegen. Es folgte das „ich möchte dich nicht mehr sehen, ich möchte mit meiner Familie nichts mehr zu tun haben“.

Auch die Worte „Ich biete dir meinen Imbiss an. Ich gebe auf, ich kann nicht mehr“, änderte nichts, nur dass seine Tochter Ihren Vater des Hauses verwies. Die Ratlosigkeit stand Herrn Fleischermeister Ambrosi ins Gesicht geschrieben. Noch nie hatte er eine solche Situation erlebt. Daher wusste er auch nicht, was er weiter tun sollte.
Der einzige Ausweg war vorab ins Gasthaus zu gehen und seinen Kummer zu ertränken. Das Gerücht über das Verlassen von Ludmilla hatte sich schon im Ort herumgesprochen. Auch drei Schnäpse und vier Bier konnten nicht darüber hinweg täuschen, dass er die empfindlichste Niederlage seines Lebens einstecken musste und dies in seinem Innersten brannte, wie zwei Pfefferoni von der scharfen Art, ohne ein Stück Brot.

Angesichts des Alkoholkonsums kam er gerade noch zu seinem Wohnhaus, stieg über die Nebentreppe, ohne ins Geschäft zu gehen, in seine Wohnung hinauf und beschloss schlafen zu gehen. Am nächsten Morgen hatte er beim Aufstehen das gleiche Bild, überlagert durch dröhnende Kopfschmerzen und einem getrübten Blick. Das Frühstückmachen bereitete ihm größte Schwierigkeiten. Dann übermannte ihn seine Disziplin und er stieg in das Geschäft hinunter. Er war noch nicht bei der Tür angekommen hörte er lachen und geschäftiges Treiben. In einem ersten Blick erkannte er sein Imbisslokal nicht wieder.

Was seine Tochter mit ihren Freunden innerhalb von zwölf Stunden umgesetzt hatte, war überwältigend und der erste Eindruck sicherlich nicht die Geschmacksrichtung von Ambrosi. Sofort glaubte Ambrosi, die Auswirkungen des Schnapses vom letzten Abend führten zu Wahnvorstellungen. Die Bemerkung seiner Frau, die plötzlich auftauchte: „Darf ich dir einen veganen Frühstückssnack präsentieren? Du hast doch sicherlich noch nichts gefrühstückt, denn bisher warst du nie fähig ein Frühstück selbst zu machen“, rüttelte an den Nerven von Fleischermeister Ambrosi. Ihm blieb einfach der Mund offen ­stehen.
Angesichts des Zustandes ihre Vaters, der sprachlos war, flötete Zezi zuckersüß „Du hast mir doch gestern zugestanden, dass ich deinen Imbiss auf Dauer benützen kann. Ab morgen gibt es nur mehr vegane Speisen“. Der Blutdruck von Fleischermeister Ambrosi wechselte von extrem hoch bis extrem niedrig. Er war offensichtlich nicht mehr Macht seiner Sinne und im Übrigen schloss Zezi „Nur an einem Tag gibt es Blutwürste hier, nämlich freitags!“.