72 Jungfrauen

72 Jungfrauen

von Christian Weimann

 

Die Themenstellung des diesjährigen Krachmann-Preises ist verfänglicher denn je! Immerhin handelt es sich um einen WETTBEWERB! Abzuliefern ist sohin ein der Jury gefälliges Werk, will man sich nicht sämtlicher Chancen berauben, vernichtender, mit obrigkeitsähnlicher Würde unantastbar öffentlich vorgetragener Kritik zu entgehen.

 

Wie also der offensichtlich vom Gastgeber gestellten Falle, durch wildes Muselmanenbashing im Ranking der zweifelsfrei kulturaffinen und daher politisch korrekten Schiedsrichter abzustürzen, entkommen? Oder sind unsere Juroren doch nicht kritiklose Anhänger einer vorbehaltlosen Willkommenskultur, deren Meinung tatsachenresistente Festigkeit auszeichnet? Zwar war im Norbert Hofer Unterstützungskomitee noch keiner von ihnen aufgetaucht, allerdings werden solche Sympathien von Personen, die nicht nur Intellektuelle sind, sondern wohl auch als solche anerkannt werden wollen, selten zur Schau gestellt.

 

Um diesem ungenügender Hintergrundinformation geschuldetem Dilemma zu entgehen, bleibt nur eine auf dem sicheren Boden objektiver Betrachtung ruhende wissenschaftliche Durchdringung des Themas. Für einen Privatgelehrten mit dem soeben erkannten Schwerpunkt der theoretischen Jungfrauenforschung stellt dies freilich eine Fingerübung dar (welche wegen der damit verbundenen Gefahr der irreversiblen Beschädigung des Forschungsobjektes den Kollegen von der praktischen Abteilung nicht angeraten wird).

 

Unter Einschränkung auf dem weiblichen Geschlecht zuzuordnende menschliche Wesen, die die Prozedur der zwischengeschlechtlichen Vereinigung weder genossen noch erduldet haben, bleibt die Beschäftigung mit männlichen Jungfrauen, jungfräuliche Pulverschneehängen etc. anderen vorbehalten; Gegenstand dieser Arbeit ist sohin ausschließlich die unversehrte und unberührte Frau und die Frage ihres Reizes. Immerhin soll dieser, mit 72 multipliziert, ausreichen, um Anhänger strittiger Koranübersetzungen zu einer Sofortreise ins Paradies unter Mitnahme einer möglichst großen Zahl unfreiwilliger Passagiere zu verleiten.

 

 Der Mythos der Jungfräulichkeit findet sich allerdings in allen Kulturräumen, die von jenen großen Weltreligionen geprägt sind, welche göttliche Offenbarung in aus Herrschersicht zwecks Aufrechterhaltung irdischer Ordnung notwendige Normen transformierten. Nur wenige glückliche Naturvölker leben entspannt Sexualität mit wechselnden Partnern in naiver Unschuld. Wie viele religiöse Stätten sind allein im christlichen Abendland einer Jungfrau geweiht, die sogar geboren hat? Warum ist diese, der Gottesmutter zugeschriebene Eigenschaft so bedeutend, dass die Heilige Inquisition massive Folter anwenden musste, um Leugner zum Widerruf zu bekehren (um sie anschließend rasch zu töten, bevor ein neuerlicher Sinneswandel eintritt)?

 

Für den theoretischen Forscher (dem mangels Gelegenheit und der Sorge, die Bettwäsche außertourlich wechseln zu müssen, jegliche praktische Erfahrung zu dem Thema fehlt, wodurch ein völlig unbefangener, objektiver, faktenbefreiter, ja geradezu jungfräulicher Zugang zur aufgeworfenen Frage ermöglicht wird) liegt die Antwort auf der Hand: die Ursache jungfräulichen Reizes ist allein in der Angst des wirklich schwachen, stark genannten Geschlechts zu finden.

 

Jegliche Verherrlichung der weiblichen Unberührtheit wurde von Männern erfunden und erdacht, hieraus wurden Normen postuliert, deren Verletzung schwerste Sanktionen nach sich zieht – für die Frau freilich.

 

Die Steinigung der Sünderin ist, wie biblisch nachlesbar, kein Privileg des Islam. Minderschwere Folgen, etwa die Brandmarkung als entehrt samt damit verbundenem Verlust der Möglichkeit, sich wirtschaftlicher und sozialer Sorgen durch gesellschaftlich angemessene Verehelichung zu entledigen, finden sich auch in unserem Kulturkreis noch in jüngster Vergangenheit.

 

Aber warum diese Strenge und dieser Aufwand? Ist sexuelle Erfüllung mit einer erfahrenen Frau nicht viel eher zu finden, als mit einer gänzlich Unbedarften, die keine Ahnung von Tuten und Blasen hat (man möge diese Derbheit verzeihen)? Feudalherren nutzten ihr ius primae noctis zumindest bei den gutgewachsenen Töchtern der Leibeigenen weidlich, obgleich sie regelmäßig auch über einen Vorrat an routinierten Konkubinen verfügten.

 

Was also zeichnet die Jungfrau aus, dass sie dermaßen zum Objekt der Begierde wird? Warum verfliegt dieser Reiz mit dem Vollzug des ersten Mal?

 

Die klare Antwort hierauf lautet: sie kann nicht vergleichen! Dieser einzige Grund erhellt, warum auch Ehebruch ähnlich wie die selbst unfreiwillige Aufgabe der Jungfräulichkeit sanktioniert wurde und vielfach noch wird. Der ängstliche Mann scheint es gerade noch zu ertragen, wenn der Nachbar das größere Haus, Einkommen und Auto, nicht jedoch den größeren Pimmel hat oder diesen geschickter zu verwenden weiß. Welch idiotische Sorge, die junge feige Märtyrer ihr Heil in revolvierend 72-facher Angstbefreiung suchen lässt!

 

Ist man der Einzige, so ist man wohl auch der Beste, und als solcher auch ungefährdetes Oberhaupt einer patriarchal strukturierten Familie, der zuverlässigsten Keimzelle jedes religiös dominierten straff autoritären Staates. Die unterworfene Frau sucht mangels Kenntnis keine Alternativen zum häuslichen Pascha, sicherheitshalber wird sie gelegentlich noch beschnitten, um keinesfalls die Idee aufkommen zu lassen, fehlende Paradieserfahrung im irdischen Leben sei nicht bloß ungelenker, vielmehr vollständig fehlender Liebeskunst des Einzigen und Besten geschuldet. Wechselseitiges Erkennen von Bedürfnissen erübrigt sich ebenso wie jegliche Rücksichtnahme darauf, Kompromisse müssen nicht gefunden werden, wenn diktatorische Anweisung jede Meinungsverschiedenheit beendet. Die Frau als Besitz des Mannes, ein prachtvoll funktionierendes Ordnungsmodell, welches durch Vorleben und Einbläuen von Generation zu Generation zuverlässig weitergegeben wird. Der von männlicher und staatlicher Seite aus Angst vor Kontrollverlust gepflegte Jungfrauenwahn erweist sich sohin als tragende Säule nachhaltiger autoritärer Strukturen – womit der erste Teil dieser wissenschaftlichen Arbeit glänzend abgeschlossen wäre.

 

Schwieriger erweist sich die Suche nach einer Lösung, zumal wohl weithin auch gar keine Sehnsucht nach einer solchen besteht. Die sexuelle Emanzipation der westlichen Frau beschert dem Mann eine Partnerin mit Vergleichsmöglichkeiten einerseits, und dies scheint bedrohlich. Selbst wenn sie sich keinen Porsche leisten kann, wäre es doch möglich, dass sie – sei auch nur einmal – damit fahren durfte. Wie kann man dann als kleiner Skoda lebenslang ihrer Gunst sicher sein?

 

Anderseits ist ihre Situation um nichts besser – auch er könnte schon Erfolge genossen haben, die üblicherweise außerhalb seiner Reichweite liegen. Legt man aber diese Erfahrungen diskret zusammen, erforscht und erfüllt furchtlos wechselseitig Wünsche, wird frau staunen, was ein Skoda leisten kann und man glücklich ihre Freude genießen (wobei es doch hilfreich sein kann, die seinerzeitige Porschefahrt unerwähnt zu lassen).

 

Wer als Mann solches erlebt und patriarchalen Habitus mit Besitzstandswahrung gegen eine Lasten und Freuden teilende Partnerschaft getauscht hat, ist gegen Jungfrauenwahn gefeit. Sich im Jenseits mit 72 davon herumschlagen zu müssen, erscheint dann geradezu bedrohlich gegen das Vergnügen, eine Erfahrene zu genießen. Entscheidungen hin und wieder gemeinsam treffen zu können, sei es auch über die Stellung, welche mittwochs beim Alltagsvollzug ehelicher Pflichten einzunehmen mehr Spaß macht, erleichtert ungemein. Kinder, die im Klima gelebter Diskussions- und Kompromissfähigkeit heranwachsen, werden weder einen autoritären Partner noch einen solchen Staat je akzeptieren.

 

Liebe Jungfrauen, aus wissenschaftlicher Sicht seid ihr sohin ein Quell der Verführung für alle Feinde einer offenen Gesellschaft. Zur Rettung derselben vor bestehenden ebenso wie neuen autoritären Strukturen erscheint aus Sicht des seriösen Privatgelehrten die Notwendigkeit, diese eure Eigenschaft ehestmöglich zu verlieren, hiermit erwiesen – womit Teil zwei dieser wissenschaftlichen Arbeit in überzeugender Art und Weise abgeschlossen ist.

 

 

Der noch fehlende dritte Teil der praktischen Umsetzung – wie frau sich am besten ihrer Jungfräulichkeit entledigt – sprengt freilich das Fachgebiet der theoretischen Jungfrauenforschung und würde einer Veröffentlichung dieses Beitrages wohl entgegenstehen. Publikum und Jury seien hiezu auf die Fülle von Publikationen der Kollegen aus der praktischen Forschung (teilweise in reich bebilderten Ausgaben erhältlich) verwiesen, nicht ohne Hinweis darauf, dass die führenden Arbeiten des Giacomo Casanova als auch des Marquis de Sade zu diesem Thema nach der jüngeren wissenschaftlichen Lehre und den vorstehend gelieferten Ergebnissen als nicht mehr völlig unumstritten anzusehen sind.