Red Places – Colorized Emotions

Red Places – Colorized Emotions

von Bernhard Mitterer

 

Der Synthesizer spielt eine sakrale Melodie, während Bassgitarren und Schlagzeug Ihres zum Intro des neuen Albums von „Red Places“, beitragen. Nun setzen die Doublebassdrums ein und eine brachiale Leadgitarre gesellt sich dazu. Ein Sturm bricht los. Mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit hetzen die Instrumente einander hinterher. Die Jagd, Erster zu sein, findet kein Ende. Im ersten Anschein gleicht es einem Gemetzel, dennoch gibt es kein Stoßen und kein Drängen, und sichtbarer wird es, wenn die Stimme einsetzt. Es ist ein klares Schreien, sie klingt, als wäre sie weit entfernt und man hört nur das zweite oder dritte Echo. Durch ihre Melodie gibt sie den Instrumenten eine Ordnung, eine Ruhe. Eine Ruhe, die die Instrumente in die Lage versetzt, um einander herum zu tanzen und dem Rennen eine Bewegung zu verleihen, als würden sie sich aneinanderschmiegen wollen, um bei näherer Betrachtung, ähnlich wie bei Planeten den Orbit und dessen Zentrifugalkraft auszunutzen, um den kleinen aber wichtigen Geschwindigkeitsvorteil herauszuholen. Wenn die Stimme aussetzt, wird es wieder wilder, jedes Instrument versucht aus zu brechen, um mit ungebremster Kraft voranzupreschen. Dennoch hat die Stimme hat etwas hinterlassen, das die Instrumente nicht wieder abschütteln können. Eine Freundschaft und ein Verlangen am gemeinsamen Weg.

 

So beginnt die Reise der Red Places in eine Welt der Emotionen, wie ich sie selten erlebt habe. Man könnte sagen „Nomen est Omen“, denn ihr Name ist Programm, nicht an der Oberfläche, nein, ganz unten am Grund ihrer Vorstellungskraft, die mich in ihre Welten ziehen.

 

BIG – A red Planet. Ich sehe ihn klar und deutlich vor mir. Als wäre ich hier geboren. Und dennoch bin ich erst ein paar Wochen hier. Ich sitze hier am höchsten Punkt nahe meiner Basisstation und genieße den Blick in die Weiten der vor mir liegenden Ebene. Die Luft ist glasklar und lässt mich einige hundert Kilometer in die Ferne blicken. Ganz hinten am Horizont erstreckt sich ein Gebirgszug, der etwa 2300km reicht. Die höchsten Erhebungen reichen bis zu 15km in den Himmel, wenn man das hier so nennen kann. In meine Richtung verflacht es sehr schnell und vor mir breitet sich eine unglaublich große Ebene aus. Sie ist sehr flach, fast spiegelglatt. Bei Zeiten muss ich mich von diesem herrlichen Anblick abwenden, denn die Reflektion der Sonne schmerzt meinen Augen sehr. Hie und da zeigen sich doch ein paar Einschlagskrater, die durch Meteoritengestein im Laufe der Jahrtausende dem makellosen Anblick dieser Ebene ein wenig von Käselöchern ähnelt. Je länger ich hier sitze, desto mehr vergesse ich mich und alles was mich ausmacht. Es zählt nur das Hier und Jetzt. Alles Schlechte fällt ab, ich fühle mich leichter und leichter, jede Sorge fällt von mir ab, ich bekomme allmählich Platz im Gewühl meiner Gefühle und Gedanken an die Vergangenheit. Eine Ruhe breitet sich in mir aus, nur kleine Punkte, fast wie die Krater vor mir trüben ganz leicht meine Stimmung. Alles um mich herum verschwimmt, keine einzelnen Objekte lassen sich mehr wahrnehmen, die Farben vermischen sich, werden zu einer Kakofonie von Brauntönen, vom mit Wasser gesättigtem Erdboden bis hin zum köstlichsten Hasselnußeis. Seltsam, ich dachte ich sei auf dem Mars. Seis drum, hier und jetzt geht es mir gut. Ich werde Eins mit der Umgebung und es gibt hier nichts, was mir schaden kann. Ich lasse meinen Gedanken freien Lauf, lasse sie davonjagen, wie die Instrumente, die sich einfach bewegen und sich durch nichts leiten lassen. Aber anders als die Instrumente haben meine Gedanken ein roten Faden, dem sie entlanggleiten. Den selbst wenn ich hier alleine sitze und sich die Welt um mich herum sehe, die Millionen Kilometer entfernt von der Erde ist, dann gibt es nur einen Platz, den ich nie vergessen werde. Aber hier und jetzt bin ich bereit ihm wieder zu begegnen.

 

HATE – Visions of Pain. Es ist kalt und dunkel. Man könnte meinen ich sei auf der Schattenseite des Mars. Aber nein, ich bin hier in einem feuchten und schmierigen Keller. Seit Tagen. Oder Wochen? Warum mir eigentlich kalt ist, verstehe ich nicht, auch wenn ich mich noch so bemühe. Ich wohne zwei Grad über dem Aquator. Obwohl, mag es daran liegen, dass mir schon seit langem richtiger Schlaf verwehrt wird? Jedes Mal, wenn ich glaube einzunicken, erschrecken mich die umgebenden Geräusche, die ich nach langer Zeit, hier unten in diesem Keller zu Genüge kennen lernen durfte. Ich beginne wieder zu zittern und mich zu verkrampfen. Die Angst, die diese Geräusche in mir wecken, ist mittlerweile ein ständiger Begleiter. Der Sack auf meinem Kopf, den sie mir selten nie abnehmen erdrückt mich, schnürt mir im wahrsten Sinne die Kehle zu und macht es fast unmöglich autonom zu atmen. Hmm, vielleicht ist mir auch deshalb kalt. Essen ist hier anscheinend überbewertet, sie geben mir nur Brocken, zu wenig, damit ich mich etwas stärker fühlen könnte und meinem Körper die Möglichkeit geben könnte sich zu erwärmen. Manchmal holen sie mich aus diesem Raum, setzen mich auf einen Stuhl und fragen mich Dinge, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Meine Knochen schmerzen, mein ganzer Körper brennt. Das Gesicht spüre ich kaum noch, ich bezweifle, dass alles darauf an seinem richtigen Platz noch ist. Wahrscheinlich wäre es einfacher die Stelle an meinem Körper zu benennen, aus denen es nicht blutet. Und so beteilige ich mich an der Dekoration des Kellerraumes, der nun mein Zuhause ist. Sie werfen mich zurück, mich stoppt die Wand, die sich anfühlt, als würden Fleischfetzen die Tapeten ersetzen. Ich falle auf den Boden und die nicht mehr so feuchte Oberfläche klebt sich wie Kaugummi auf meine Haut. Das langsam trocknende Blut meiner Vorgänger, es waren sicher Einige, dängt sich ätzend und penetrant in meine Nase und bahnt sich ihren Weg in das Geruchszentrum, wo er mir sagt, übergib dich, dann riechst du mich nicht mehr. Egal in welche Ecke ich mich hier verziehe, egal welche Stelle ich durch meinen Geruchsinn ich blind erforsche, es ist immer der gleiche Geruch, der mir meinen Magen rebellieren lässt. Aber dennoch, es gibt immer wieder diesen Einen, klitzeKleinen Moment, kurz bevor meine Gedanken das nicht zu erreichende Traumland erreichen. Und in diesem klitzeKleinen Moment, sehe ich die Erinnerung so deutlich vor Augen, dass sie mich durchhalten lässt. Wie lange das auch immer dauern möge. Diese Erinnerung ist warm und angenehm und ich sehne den Tag herbei, an dem ich hoffentlich wieder dort sein werde und alles hier nicht mehr so schlimm sein lässt.

 

LOVE – Garden of comfort. Eine leichte Sommerbrise weht mir ins Gesicht und sie kühlt ein wenig meine vom Sonnenlicht durchtränkte Haut. Es ist ein angenehmes Gefühl und lässt mich an diesem Ort einfach nur glücklich sein. Dieses Plätzchen, diese Veranda auf der ich nun liege, habe ich mit Herz und Seele gebaut. Ich habe mich hier selbst wiedererschaffen, so wie ich es für mich wollte. Vor mir erstrecken sich japanische Ahornbäume, die um diese Jahreszeit in voller Blüte stehen. Japanische Ahorn ist mein Lieblingsbaum. Die Baumreihen werden nur gelegentlich durch punktuell platzierte andere Baumarten aufgelockert. Der Anblick gleicht einem Meer aus Rosenblättern, samtig weich, als könne man darauf davon gleiten und am Ende die Bacchusquelle erreichen. Das wohlige Gefühl, dass mich gerade durchdringt und mich die Welt vergessen lässt liegt aber nicht nur an dem herrlichen Anblick meines Gartens, nein, es ist auch meiner Gefährtin zu verdanken, die mich gestern mit einem Teppich Rosenblättern überrascht und mich mit köstlichem Rotwein in eine extatische Welt entführte. Ihr rotes Haar duftet ungewöhnlich gut und ich kann mich jedes Mal nur schwer davon lösen. In manchen Momenten denke ich an den Mars und versuche mir vorzustellen, ob es dort auch so rot ist wie ihre Haare. Schließlich nennt man ihn doch den roten Planeten. Sie ist ein Anker in meinem Leben und wäre ich hier allein, wäre alles nur halb so schön. Sie scheint bereits wach zu sein. Sie macht ein wenig Musik. Ich höre einige Instrumente.

 

OUTRO – Back to Inception. Der gewaltige Ausklang des Albums, der alles was ich bis jetzt hörte nochmal wiederholt, mich jedoch auf sanfte Art und Weise durch meine Erinnerungen zurück an den Beginn meiner Reise bringt. Die Doublebassdrums sind langsam, die Leadgitarre begleitet rhythmisch, alle Instrumente sind auf gleicher Höhe und bewegen sich langsam aus das Ziel zu. Ich werde weggerissen aus meinem Garten, der mir die eine sichere Zuflucht bot. Ich versuche an dem Gedanken hängen zu bleiben, aber es hilft nichts, ich kann nichts ergreifen und ich werde in den Keller katapultiert, der, wenngleich er furchteinflößend und todeswünschend ist, nun nicht mehr die Nähe und den immensen Druck ausübt, wie es vorher geschah. Es ist eher ein Vorbeiflug, mit einer Geschwindigkeitszunahme, die mich in Windeseile zum Mars bringt, wo sich endlose Weiten und angenehm klare Ausblicke genießen lassen. Mein Herz beruhigt sich und meine Emotionen stabilisieren sich.

 

Ich öffne die Augen, es ist still. Das Album ist zu Ende. Mein Blick gilt einzig allein meiner neuen Gitarre. Ihr Korpus zeigt ein fließendes Farbmuster verschiedener Dunkeltrotöne, so als würde sich ver- schiedene Blutarten und Konsistenzen vermischen. Durch die Art der Lackierung ergeben sich an manchen Stellen rauere Oberflächen, die fast den Anschein erwecken, als hätte man Lederimitate im Holz eingearbeitet, ähnlich wie die Perlmutt-Inlays auf dem Gitarrenhals. Der Hals besteht aus einer Reihe von Brauntönen, die sich in regelmäßigen Abständen wie ein Strudel ineinander mischen. Meine Fingerkuppen schmerzen ein wenig, sie sind ein wenig errötet und jetzt erst wird mir bewusst, dass ich das ganze Album über mitgespielt habe. Das ist natürlich anstrengend, irgendwie spüre ich es am ganzen Körper. Ich fühle mich müde. Aber gut müde, denn es kommt mir vor, als hätte ich alles, was mich in der letzten Zeit bewegt hat, sei es nun gut oder schlecht, abgeschüttelt. Die Musik hat mich an Orte gebracht, wo ich meine Gefühle wirklich gefühlt habe und dass mit einer Intensität, die mich im Nachhinein doch ein wenig erschaudern lässt. Dadurch bemerke ich, dass ich eigentlich schweißgebadet bin und mir ein wenig kalt ist. Und Hunger habe ich auch.