Rote Plätze

Rote Plätze

von Christian Weimann

 

Diese Geschichte ist reine Fiktion – jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen existierenden Personen und Gedanken ist purer Zufall und nie und nimmer beabsichtigt. Sollte jemand beschließen, sich durch folgenden Text gekränkt zu fühlen und dieser Glaskinnträger auch noch wichtig sein , ist es gut möglich, dass dies mich irgendwann reuen muss. Dann werd ich mich halt mit allen Vorbehalten entschuldigen bzw. tue dies hiermit bei den besonders empfindlichen Mimosen gleich.

 

Eine glückliche Abfolge brutalster parteiinterner Intrigen, ergänzt durch Zufälle und Missverständnisse wie eine Fehlinterpretation der Geschäftsordnung des Gemeinderates und eine Namensverwechslung, hatte sie ins Bürgermeisteramt gebracht. Als beide verfeindete Parteiflügel aufgrund der Ablenkung infolge ebenso gleichzeitigem wie trotzigem Absingen der „Internationale“ (um den fröhlichen Gesang der Schwarzen „Nur das Geld regiert die Welt“ zu übertönen) endlich bemerkt hatten, dass anstelle des Kompromisskandidaten (eigentlich hervorragend geeignet als ehemaliger Juso und Hainburgaktivist, dennoch nunmehr Gewerkschafter und Arbeiterkammerfunktionär, männlich, ebenso übergewichtig wie trinkfest) ihr Name (die Bewerberliste war mit der Abwesenheitsliste verwechselt worden) plötzlich zur Abstimmung stand, war es zu spät gewesen. Kein Triumph dem politischen Gegner, bei Gefahr von außen – so sie diese denn erkennen – sind Genossen geschlossen. Brav war sie sohin mit allen Stimmen ihrer Partei – außer der eigenen –, überdies jenen der Grünen und eines ÖVP-Abgeordneten (wegen der Mehrheitsverhältnisse entscheidend) zur Bürgermeisterin von Wien gewählt worden. Dass der scheinbar abtrünnige schwarze Mandatar die Hand nicht zwecks Stimmabgabe, sondern um den Sitz seiner Frisur zu prüfen gehoben hatte, war unbeachtet geblieben. Sie selbst hatte die auch für sie völlig überraschende Wahl erst nach ihrer Rückkehr von der Herrentoilette, die sie aus Gendergründen stets aufzusuchen pflegte, erfahren.

 

Am nunmehr hundertsten Tag ihrer Herrschaft war jedoch die überschäumende Freude über den Karrieresprung längst verflogen, ein Hauptfehler ihrer Antrittsrede verfolgte sie Tag und Nacht. Ihre Ankündigung, die Helden des Heldenplatzes zu tauschen, hatte nichts als Ärger gebracht. Keine Häuptlinge, die nach heutigen Maßstäben allenfalls dem Kriegsverbrechertribunal ausgeliefert würden, sollten fürderhin in Stein gemeißelt und angebetet werden, sondern Menschen, die nach heute und ewig gültigen, ethisch als auch sozialistisch einwandfreien, von ihr kraft Amtes definierten Normen Vorbilder der eigenen Jugend als auch Stachel im Fleisch des politischen Widersachers sein sollten! Ein solcher politischer Erfolg würde sie zum gutesten aller Gutmenschen adeln.

 

Die Fülle der mit Leidenschaft, oft auch Wut gebrachten Vorschläge und Stellungnahmen hatte sie jedoch überrollt, und gegen jeden neuen Helden gab es etwas vorzubringen. Hans Krankl konnte dem Altbürgermeister als bekanntem Erzaustrianer nicht zugemutet werden, Bruno Kreisky hatte bereits ein gerüttelt Maß an Plätzen seines Namens aufzuweisen, Johanna Dohnal wurde von der Gewerkschaft abgelehnt, deren altgediente Funktionäre zu recht fürchteten, warmes Abendessen mit kaltem Bier und gebügelte Unterhosen nicht mehr zu erhalten, sollten sich deren absurde Ideen bei ihren – voll berufstätigen – Ehefrauen einnisten.

 

Die Geschwister Scholl wurden nicht nur von Parteistrategen, die Genossen aus Simmering als auch den möglichen und zwecks Postenerhalts allenfalls nötigen künftigen Koalitionspartner Alternative für Österreich (so hieß nunmehr die jüngste Abspaltung unserer sozialen Heimatpartei) nicht brüskieren wollten, abgelehnt, sondern erstaunlicherweise auch von der Antifa-Bewegung, der sie selbst entstammte. Deren Sorge, eine Beschäftigung mit echten Widerstandskämpfern und deren Märtyrertum könnte den eigenen, seinerzeit bei der Donnerstagsdemo gegen Schwarz-Blau bewiesenen Heldenmut klein erscheinen lassen, überzeugte sie freilich.

 

Franz Olah war zweifelsfrei ein demokratischer Held, dies bewiesen allerdings im Kampf gegen Kommunisten und damit eigentlich gegen Brüder und Schwestern im Geiste, was entgegen dem Griff in die Gewerkschaftskasse ein knock-out Kriterium darstellte. Che Guevara, Daniel Ortega, Nicolas Marduro und der als Alternative zu dem nur vom innersten Zirkel ihres Parteiflügels und Teilen der Grünen vorgeschlagenen Pol Pot in Betracht gezogene Mao stünden angeblich ebenso wie der kleine Raketenmann aus Nordkorea künftigen Koalitionen im Wege und wurden daher von den Genossen aus Simmering entschieden abgelehnt.

 

Die ÖVP zeigte sich überraschend bereit, Karl Marx zu akzeptieren, wenn im Gegenzug der selige Kaiser Karl in erlesenem Carrara-Marmor an prominenter Stelle erscheinen dürfte. Diesem war ja von der heiligen Mutter Kirche attestiert worden, ein Wunder, nämlich die Heilung einer Nonne von Krampfadern bewirkt zu haben; diese Fähigkeit ließe es durchaus zu, über seine politischen Leistungen hinweg zu sehen. Überdies wäre bei beiden der durchaus heldenplatztaugliche Name Karl von Vorteil.

 

Nun – ungeachtet dieser auch für sie interessanten Heilungskräfte – war jeder Habsburger den Genossen ein rotes Tuch, allerdings böte dieser Kompromiss die Möglichkeit, nicht nur den Verfasser des kommunistischen Manifestes zu würdigen, sondern auch den Wunsch des Kardinals abzuschlagen, seinen zwischenzeitig wegen der seinerzeitigen medialen Verfolgung als Märtyrer anerkannten und heilig gesprochenen Vorgänger Hans Hermann Groer zu platzieren.

 

Der von einer gewerkschaftlichen Wohnbauvereinigung propagierte Veranstalter des aktuell hervorragendsten waldviertler Literaturwettbewerbs schien hingegen der perfekte Kandidat zu sein; ein aus tiefschwarzer Familie stammender und zwei Tage vor der Geburt bereits konvertierter Sozi, kulturell interessiert und nach eigenen Angaben gebildet, durchaus mehrheitsfähig im Gemeinderat. Proteste der Muslimbruderschaft (bereits die wichtigste Wählergruppe ihrer Partei), die leise Zweifel an der wissenschaftlichen Seriosität einer Abhandlung über das Leben des Propheten äußerten, welche der auserkorene Held 2016 verfasst, vorgetragen und veröffentlicht hatte, zerstörten auch diese Hoffnung.

 

Entmutigt ging sie in die entscheidende Sitzung des Gemeinderates, die sie allerdings – dem aufgrund einer veganen Lebensmittelvergiftung langdauerndem erneuten Besuch der Herrentoilette geschuldet – zu spät erreichte. Die Brandrede des Vizebürgermeisters, der unter gleichzeitigem und großmütigem Verzicht auf ein Denkmal für Georg Ritter von Schönerer den Antrag auf Umbenennung des Heldenplatzes auf „Roter Platz“ gestellt hatte, war bereits verklungen und die Abstimmung unter dem Jubel ihrer Genossen bereits im Gange. Eine überwältigende Mehrheit (sämtliche Abgeordneten ihrer Partei, der sozialen Heimatpartei, der Alternative für Österreich und diesmal zweier Schwarzer, deren Frisur zurechtgerückt werden musste) musste sie fassungslos zur Kenntnis nehmen. Dass der rote Platz in Moskau nicht dem Sozialismus, sondern der Farbe der Gebäude seinen Namen verdankt, war in den Kaderschulungen der Bezirkssektionen offenbar unberücksichtigt geblieben. Die Heldenfrage hatte sich damit ebenso erübrigt wie die nach ihrem Nachfolger, dem freilich von seinen völkischen moskauer Freunden prompt via Zwitscher, Gesichtsbuch und sonstigen Möglichkeiten, die das ab künftiger Machtübernahme Zwischennetz zu nennende Medium bot, gratuliert wurde.