Zwei belanglose Seiten zu vulkanischen Aktiv-Passivitäten.

Drucker Michael

 

Belanglos waren seine Tage eigentlich immer schon gewesen, nur bis vor kurzem (was sind den schon ein paar Wochen) schien ihm dies irgendwie selbst gewählt. Es gab nichts für ihn zu tun wovor er sich unter Verwendung von mehr oder weniger originellen Ausreden drücken konnte. Rein gar nichts. „Wie kommen wir da bloß raus“ fragte K. sich „und wie lange soll …“.
„Ich hab´s“ wurde er von E´s Aufschrei der Erkenntnis unterbrochen, „Pflaumenwein schmeckt nach verdünnter, gezuckerter Scheiße! Wir werden alle daran sterben! He! He!“
Damit drückte er nur wieder einmal aus was alle hier schon seit geraumer Zeit empfanden.
„Das nächste Schlitzauge, das mir ein Flasche von dem Zeug in die Hand drückt und mich dabei so blöd angrinst, dem leg ich einfach eine auf! Punkt!“ fuhr E fort, „und es ist nix als das Grinsen, dass mich so krank macht. Ich habe einmal in Wien in einem dieser China-Mafiarestaurants zu einem dieser Grinser „Fick dich“ gesagt und er hat einfach „bitte sehl mein Hel“ geantwortet. Ich hasse …“
„Halt´s z´sam´“ wurde er unterbrochen, „sei froh das dir jemand hilft ….“
Der weitere Verlauf dieses Gesprächs war vorgegeben. Die einen waren einfach nur verzweifelt, die anderen immer noch ein bisserl von ihrem mitteleuropäische Chauvinismus getrieben, den sie wohl weniger leicht als das eigene Leben hätten ablegen können. Wieder andere würden Gott ins Spiel bringen und Sintflut und Rettung als biblische Vergleiche anführen, worauf ein paar andere die Frage stellen würden warum uns dann die „gottlosen“ Chinesen helfen, was wieder die Frage aufwerfen würde ob den die Buddhisten einen Gott hätten oder der ganze Zen-Schmonzes nicht eher auf den Geist des Menschen abzielt. Oder ob es überhaupt um irgend etwas Spirituelles dabei geht und nicht etwa Mao schon gesagt hat, dass ... – Nein! Dem haben sie ja abgeschworen, usw ….
Alles in Allem belangloses Zeug eben.
Die Themen und die Abende waren für K hier in dem Flüchtlingslager, das von der Gelben Stern Brigade, die wohl ungefähr als der chinesische Arbeiter Samariter Bund beschrieben werden kann, errichtet worden war, so anders und doch so gleich wie früher, bevor die massiven Vulkanausbrüche das Gebiet zwischen den Alpen und der Böhmischen Platte zu einem einzigen Lava-See verwandelt hatten.
Das Besondere an einem chinesisch geführten Flüchtlingslager war nicht, dass es wenig zu essen gab und die Notunterkünftig gelinde gesagt „zugig“ waren. Nein! Das Besondere war, dass man als Flüchtling mit einem schier unerschöpflichen Vorrat an Pflaumenwein konfrontiert wurde. „Das hat System“ intonierten die Skeptiker während diejenigen die auch früher regelmäßig ein Achterl zu nehmen gewohnt waren ob dieser Besonderheit äußerst zufrieden schienen.

Wir (wer ist wir?) haben nirgendwohin einen Veltliner geschickt, wenn bei den Tschebeken die Erde gebebt hat.
„Die saufen auch keinen Wein!“, ereiferten sich die Korrekten gleichzeitig mit den Unkorrekten, nur die Betonung war wohl etwas anders.
„Dafür getrockneten Speck in den muslimischen Teil von Indonesien nach dem Tsunami! Har! Har!“, mussten die stets informierten Zyniker unbedingt noch ergänzen.

Die Diskussion hatte in der Zwischenzeit den Punkt erreicht wo eine Gruppe von Leuten wetteiferte, wer den nicht am meisten verloren hätte. Das war der Zeitpunkt für K sich zumindest für eine gewisse Zeit zu entfernen. Zu spät. „Der K hat immerhin seine Familie retten können“ ertönte es vom unteren Ende des Zeltes. „Ich habe niemanden gerettet, wir hatten Glück, ein wohl gesonnenes Schicksal eben“ fühlte er sich genötigt zu antworten, als ob er sich rechtfertigen müsste.
Dies war der Moment in den pflaumenweingeschwängerten Nächten wo für eine kurze Zeit ein wenig innegehalten wurde.
E brach wie immer das Schweigen: „Ich gehe nach Norden.“
Somit war der Impuls gekommen an eine kurzfristig erreichbare bessere Zukunft zu denken. Man träumte von den sagenumwobenen Auffanglagern in Böhmen, in denen es Schweinsbraten, Knödeln und sogar, wenn schon nicht gut gekühlt, dann immerhin original Pilsener Bier geben sollte.
Dorthin zu gelangen war natürlich eine Illusion. Das Gebiet des nördlichen Wald- und Weinviertels war fest in der Hand von marodierenden Banden ehem. Bankiers, Industrieller und Gewerbetreibender, die in gewohnter Manier jeden, den sie erwischten bis aufs Hemd auszogen und ausblutend liegen ließen. Wer noch Glück hatte wurde sklavengleich zum Wiederaufbau ihrer ehem. Pfründe herangezogen und da war ja wohl Pflaumenwein noch das gnädigere Schicksal.
Abgesehen von derartigen Gefahren war auch noch vom Schießbefehl an der Grenze und ähnlichen Schaurigkeiten gehört worden; Dinge die man noch als alltäglich kannte, aber fix in die Vergangenheit verbannt hatte, kamen wieder ins Bewusstsein.
Doch an diesem Abend war E nicht zu bremsen. Er beschrieb die, ihnen allen verbleibend, Möglichkeiten mit einem von Feuer (oder auch Hass auf Pflaumenwein) durchdrängten Fatalismus, dass man sich alsbald darauf einigte es wider alle Vernunft doch zu wagen.
Das gelobte Land war Böhmen. Verschont von den vernichtenden Feuermassen schien es sich für die Anwesenden als das Paradies herauszukristallisieren, für das jeder einzelne mehr als je in seinem Leben zu riskieren bereit war.
Der Weg muss nach Norden führen!
Alle in diesem Zelt stimmten zu es zu wagen, und zwar noch in der gleichen Nacht. Alle bis auf K.
Für K. war es belanglos wo und wie er mit seinem Schicksal konfrontiert wurde.
Der Aufbruch der Anderen erfolgte mit getriebener Hast. Sogar die Spannleinen des Zelteingangs fielen dieser Hast (oder auch dem Pflaumenwein) zum Opfer, als ein Grossteil der Aufbrechenden darüber stolperte.
K. sah die Runde noch in der fahlen nächtlichen Beleuchtung verschwinden, konnte noch hören wie E mit scharfen Worten keinen Zweifel an der Richtigkeit des Unterfangens aufkommen ließ und machte sich daran den Vorderteil des Zeltes wieder aufzubauen …

Als K. die Nachricht von den 5 Toten bei Hirschschlag erreichte war er gerade dabei mit seinen neuen Lagergenossen ein Glas Pflaumenwein zu nehmen. Nachrichten erreichten jemanden in dieser Zeit nur in der Form von Gerüchten, die durchs Lager weitergereicht wurden. Woher sie kamen und wie sie über die Lagergrenzen hereindringen konnten, wusste eigentlich niemand zu sagen.
Eigentlich war K. gerade dabei, die neuen Genossen und deren Themen aufzusaugen und soweit zu kategorisieren, dass ihn nichts mehr überraschen konnte.

Jetzt war er aber überrascht über sich selbst (eine seiner größten Ängste!– sich selbst nicht bis in seine letzte Faser zu kennen und zu kontrollieren).
Selbst er hätte nicht damit gerechnet, dass die Nachricht vom Tod seiner alten Runde für ihn so belanglos sein würde; hatte er nicht – im Gegenteil – sogar geglaubt, den einen oder anderen ganz gern gehabt zu haben …?