Anzeichen für vulkanische Aktivitäten in Mitteleuropa

Stehmann Victor

06:30
Dunkelheit. Der Wecker plärrt in die Stille. Ein neuer Tag beginnt. Beckmann rollte seinen Körper aus der schützenden Wärme der Decke und kam auf die Beine. Es war früher als sonst. Aus irgendwelchen Gründen war der Wecker früher losgegangen als sonst. Egal. Er konnte nicht mehr schlafen nach diesem grollenden Wummern in der Nacht. Wahrscheinlich eines der seltenen Erdbeben in dieser Gegend, dachte er sich, und zog mit blinder Routine ins Badezimmer. Die Heizung war aus unerfindlichen Gründen ausgefallen. Scheiß Fernwärme dachte Beckmann, und blieb solange unter dem heißen Wasser, bis er es nicht mehr aushielt. Was war gestern? Er konnte sich nicht mehr genau erinnern. Das einzige, was er zu diesem Zeitpunkt noch wusste, war, dass eine große Menge Alkohol im Spiel war.

07:00
Im Radio tönte die ewig gleiche Werbung unterbrochen durch ein wenig Musik und dem Microman. 7 Uhr – die Nachrichten. Die Schlagzeilen berichten von einem nächtlichen Erdbeben – ah, das war es also, dachte Beckmann – und von einem Wasserrohrbruch, der den inneren und äußeren Gürtel auf Höhe Hernalser Hauptstrasse blockiert. Da muss es sich abspielen, verdammt, genau dort muss ich vorbei, sind die ersten Gedanken die ihm, dazu in den Kopf schossen. Beckmann beschloss das Auto stehen zu lassen und die Stadtbahn ins Büro zu nehmen.

07:30
Die Stadtbahn war gerammelt voll. Und dann drängten sich auch noch alle an den Fenstern, um das große schwarze Loch genau unter der Gürtelbrücke zu sehen. Auch wenn das Loch genau unter dem Zug lag, versuchten die Leute es zu sehen. Es wusste zwar keiner wirklich, dass da ein Loch ist. Es musste aber eines sein. Sonst wäre der Wasserstrom nicht zu erklären, der einen kleinen See unter der Stadtbahnbrücke bildete und in Form eines kleinen, beschaulichen Flüsschens die Kinderspitalgasse Richtung Stadt zog. Beckmann nahm kaum Notiz davon, und unter leichten Kopfschmerzen kam ihm schön langsam die vergangene Nacht wieder in Erinnerung. Es war im „Hurtigen Töpfchen“ seinem Stammlokal, es gab irgendetwas Wichtiges zu feiern und es war wirklich viel Alkohol. Beckmann konzentrierte sich wieder auf das aufkommende Kopfweh.

08:00
Beckmann zog mit spitzen Lippen an seinem brühend heißen Kaffee und tippte mit seiner freien Hand sein Passwort in die Tastatur. Der Bildschirm zeigte sich so wie er ihn am Vorabend verlassen hatte, nur einige schwarze Zeilen signalisierten neue ungelesene Mails. Der Newsticker am unteren Bildschirmrand meldete die Überschwemmung und weitere kleinere Wasserrohrbrüche im Norden der Stadt. Sachverständige versuchten sich in Erklärungen, waren aber eigentlich ratlos. Es waren erstaunlich wenige Kollegen im Büro für diese Uhrzeit.

08:30
Die Kopfschmerzen nahmen zu. Die wenigen Kollegen, die langsam eintrudelten, berichteten von Überschwemmungen in der U-Bahn und leisen Erschütterungen. Beckmann hypnotisierte schon seit Minuten seinen Bildschirm. Irgendwas hatte er letzte Nacht liegen gelassen. Doch was? Er konnte sich entsinnen, dass er gestern mit dem Vorsatz eingeschlafen war, heute noch was Wichtiges zu erledigen. Er machte e-Mails wahllos auf und schloss sie wieder. Die Kopfschmerzen wurden ständig schlimmer und er konnte sich nicht konzentrieren.

09:00
Jemand hatte den Fernseher im Gemeinschaftsraum aufgedreht. Ein aufgeregter Journalist berichtete von Wildschweinen im Lainzer Tiergarten. Scheinbar hatten sie sich zu einer gemeinsamen Flucht entschieden und zogen in Richtung Westen. Schnitt. Eine kleine Blonde mit einem riesigen Mikrofon steht in Gummistiefeln im Jonasreindl und berichtete von Erdspalten, die sich in der ganzen Innenstadt auftun. Aus Ottakring und Hernals strömen Wassermassen aus unerklärlichen, riesigen Wasserrohrbrüchen Richtung Innenstadt. Hubschrauberaufnahmen zeigen den überschwemmten Stephansplatz. Beckmann beschloss, dass das heute nicht sein Tag war. Er konnte sich noch immer nicht erinnern, was gestern gelaufen ist und das Hämmern in seinem Kopf wurde auch nicht besser. Die Entscheidung war schnell getroffen, er sperrte seinen PC und bewegte sich wieder heimwärts, um den Tag zu verschlafen.

09:30
Stadtbahnstation Stadthalle. Beckmann hatte die Erleuchtung. Aus den Lautsprechern schnarrte es „Bitte alle aussteigen“, und Beckmann hatte die Erleuchtung. Er konnte sich wieder entsinnen, was gestern los war. Zumindest bruchstückhaft. Er, ja er, Beckmann, hatte mit seinem sinnlosen Schüttelreim den Krachmannpreis gewonnen. Seit seiner frühesten Jugend wollte er diesen Preis erringen. Alle in Grund und Boden reimen. Das Kampflesen gewinnen und den Krachmann Wanderpokal nach Hause tragen. Diesmal hatte er es geschafft. Leider war er gestern zu besoffen, um den Preis nach Hause zu tragen. So hatte er ihn im „Hurtigen Töpfchen“ zurücklassen müssen. „Bitte alle aussteigen, aufgrund der derzeitigen Verkehrslage wird dieser Zug eingezogen. Wir danken für Ihr Verständnis.“ Es knackte noch leise im Lautsprecher und dann strömten die Passagiere auch schon den Ausgängen zu.

10:00
Beckmann hatte sich entschieden, zu Fuß ins „Hurtigen Töpfchen“ zu gehen, den Krachmannpreis zu holen und in seiner Wohnung sicher zu verwahren. Davon konnten ihn auch die stärker werdenden Kopfschmerzen nicht abhalten. Zügig ging er die Siebensterngasse in Richtung Museumsquartier hinunter. Irgendwie war es wärmer ge¬worden und verdammt schwül. Aus der Ferne war ein tiefes Grollen zu vernehmen. Als er die Kirchengasse kreuzte, konnte er einen Blick in die tiefer gelegene Neustiftgasse werfen. Das was er da sah, war äußerst skurril. Scheinbar waren in ganz Wien alle Schleusen geöffnet worden, denn die Neustiftgasse war keine Gasse mehr, sondern hatte sich vielmehr zum Fluss gewandelt; der in Richtung Innenstadt floss. Das Wasser hatte mehr als 30 Grad und dampfte. Beckmann fiel nun auch der leichte Geruch nach faulen Eiern auf, Schwefel. Was ging hier vor?

10:30
Er stand nun auf der breiten Stiege, die von der Breite Gasse abwärts führte, und blickte in das weite Areal des Museumsquartiers. Eine absurde Szenerie bot sich ihm dar. Scheinbar war die komplette Innenstadt und noch darüber hinaus bis zu einer Höhe von mindestens 2 Metern von dampfendem schwefelstinkendem Wasser überflutet. Der komplette Hof des Museumsquartieres war ein See. Zu allem Überfluss hatte ein übereifriger Mitarbeiter des Tierschutzvereines sämtliche Käfige in Schönbrunn geöffnet, um die Tiere vor dem Ertrinken zu retten. Die meisten Tiere waren sofort abgesoffen. Aber alle, die, die schwimmen konnten, waren den Wienfluss runtergeschwemmt worden und sammelten sich nun rund um das Ludwigmuseum. Alligatoren, Flusspferde, Otter, Schnabeltiere und ein übergewichtiger Eisbär paddelten in Panik im warmen Wasser. Beckmann verspürte ein leichtes Hungergefühl und setzte sich zuerst einmal auf die Stufen und ließ die Szene auf sich wirken. Wie sollte er in sein Stammlokal kommen, das am Stephansplatz lag. Gehen war nicht möglich und wäre er geschwommen hätten ihn die verirrten Tiere aus Schönbrunn nicht weit kommen lassen. Die waren zwar degeneriert aber nicht deppert, und vor allem hungrig.

11:00
Beckmann balancierte auf so einem unförmigen Schaumstoffgebilde, auf denen sonst müde Touristen im Hof des Museumsquartieres in der Sonne schwitzten, und bewegte sich, eine Baugrubenabsperrlatte als Paddel nutzend, Richtung Maria Theresia Denkmal. Dort wollte er erstmals Pause machen und die Kartoffelchips essen, die er aus dem Wasser gefischt hatte. Er war durchnässt und die müden Glieder schmerzten. Die Tiere hatten ihn nicht ohne Kampf ziehen lassen und die Zugänge zum Inneren des Museumsquartieres waren bis fast unter die Decke überschwemmt. Das war kein Kindergeburtstag gewesen, um bis hier her zu kommen, doch jetzt kam er gut und schnell voran. Je mehr er sich der Innenstadt näherte, desto lauter wurde das tiefe Rumoren, das schon den ganzen Tag zu hören war. Das Wasser stieg stetig, war mehr als lauwarm und stank elendiglich nach Schwefel.

11:30
Einfacher, als ursprünglich gedacht, war Beckmann bis auf den Stephansplatz gekommen. Die gelblichen Blasen, die an der Ecke Graben und Kärntnerstrasse aus dem Wasser wabberten, kümmerten ihn nicht sonderlich. Er wollte nur noch ins sichere Lokal. Zum Glück lag das „Hurtige Töpfchen“ im Dachgeschoss eines Hauses an der Schulerstrasse und war somit nicht vom Hochwasser aus den Wasserrohrbrüchen betroffen, dachte Beckmann. Obwohl – das konnten keine Wasserrohrbrüche sein. Soviel Wasser schaffte die Hochquellwasserleitung nicht und vor allem nicht mit der Temperatur. Das Wasser hatte mehr als 30°! Mit einem Klimmzug konnte Beckmann sich in ein Fenster im zweiten Stock hochziehen. Die Wohnung war leer und sah nach fluchtartigem Aufbruch der Bewohner aus. Er negierte die Kopfschmerzen, verließ die Wohnung und ging die Stiegen aufwärts. Er wollte nur noch zu seinem Preis. Er wusste genau, wo er ihn gestern zurückgelassen hatte. Zwischen Wodka Smirnow und Wiborowa musste er sein. Und von dort wollte er ihn in Sicherheit bringen. Als er das Lokal betrat, traute er seinen Augen nicht. Das kleine Lokal war unversehrt und leer, bis auf zwei Gestalten, die sich mit dem Rücken zu Beckmann auf der Terrasse befanden. Jeder von den beiden hatte eine Flasche Schnaps in der Hand und sie deuteten abwechselnd und scheinbar planlos in die Umgebung. Es handelte sich um Pavel und Otto. Zwei Faktoti, die eigentlich zum Inventar des „Hurtigen Töpfchen“ zählten. Die beiden waren bei dem gestrigen Gelage dabei und hatten scheinbar darauf verzichtet, nach Hause zu gehen und hatten gleich weitergezecht.

12:00
Nachdem er sich gesammelt hatte betrat Beckmann die Terrasse. Von hier aus konnte man die gesamte Innenstadt überblicken und konnte das gesamte Ausmaß der Überschwemmungen sehen. Doch die Überschwemmungen waren das geringste Übel. Der gesamte Horizont war von rauchenden und Feuer speienden Schloten übersehen. Im Westen und Norden der Stadt waren hunderte von kleinen Vulkanen ausgebrochen, die auch die Ursache der Überschwemmungen und des Schwefelgestankes waren. Pavel und Otto waren stock betrunken und bemerkten Beckmann nicht sofort. Sie waren vielmehr damit beschäftigt, sich gegenseitig die Stellen zu zeigen, wo herabstürzende Lavabomben spektakulär detonierten. Sie hatten genug Alkohol intus, um einfach nur Spaß an der Situation zu haben, ohne sich auch nur irgendwelche Gedanken über irgendwelche Konsequenzen zu machen. Beckmann war verzweifelt. Sein Floss war weggespült und von einem schwangeren Flusspferd, in der Annahme das Ding es sei ein Angreifer, in tausend Stücke zerlegt worden. Die Lage schien hoffnungslos. Beckmann ging zur Bar, stellte fest, dass sein Krachmannpreis unversehrt war, griff sich das Artefakt sowie eine Flasche Gin, um sich mit beiden zu den zwei grölenden und jauchzenden Besoffenen auf der Terrasse zu gesellen.

13:00
Beckmann war mit Hilfe der Flasche Gin gut drauf und mit Pavel und Otto machte das ganze Theater auch irgendwie Spaß. Das Blubbern an der Ecke Graben und Kärntnerstrasse hatte sich gelegt. Stattdessen erhob sich an der Stelle mittlerweile ein 20m hoher Minivulkan und kotze Lava aus. Alles Lebende in einem Umkreis von 20km war entweder ersoffen, an Schwefeldämpfen erstickt oder zu einem Fund für zukünftige Prähistoriker in Lava konserviert. Einzig Beckmann, Pavel und Otto hatten Ihren Spaß auf der Terrasse des „Hurtigen Töpfchen“. Sie hatten die Beste Aussicht auf das Spektakel und eine ganze Bar die sie leertrinken konnten. Sie waren da, wo sie gestern aufgehört hatten. Der Krachmannpreis, eine Ausgeburt an schlechtem Geschmack, stand in Ihrer Mitte. Jeder hatte eine Flasche irgendwelchen Schnapses in der Hand, mit der sie dem Preis zuprosteten und gemeinsam intonierten sie gesungene Huldigungen an den Preis. Dieser war eigentlich nichts anderes als eine postklassizistische Nachtischlampe mit Namensschild. Aber eine Nachttischlampe mit Geschichte. Schließlich konnte er lückenlos bis auf das erste legendäre Kampflesen zurückgeführt werden. Legenden rankten sich um ihn, er hatte auch schon Opfer gefordert, doch schien nun auch für ihn das Ende nah.

14:30
Mit einem unmenschlichen Donner explodierte der mittlerweile 70m hohe Vulkan an der Ecke Graben und Kärntnerstrasse. Beckmann, Pavel und Otto applaudierten heftig. Sie konnten jedoch den 42 Tonnen schweren Lavabrocken, der sich von oben aus 300m Höhe auf die Terrasse des „Hurtigen Töpfchen“ zubewegte, nicht sehen. Entweder waren sie zu betrunken oder von den Schwefeldämpfen benebelt. Aber eigentlich war das egal, denn in 4, 2 Sekunden würde das keinen mehr interessieren, da Beckmann, Pavel und Otto dann, auf 2cm dicke Scheiben platt gedrückt, unter einem 42 Tonnen schweren Lavabrocken liegen würden. Einzig der Krachmannpreis stand an einer günstigen Ecke der Terrassenbrüstung, von der er durch den Aufprall des Lavabrocken hoch in die Luft geschleudert wurde und wie durch ein Wunder auf die Spitze des Stephansturmes, welcher erstaunlicherweise dem ganzen Chaos widerstanden hatte, befördert wurde. Genau dort landete der Krachmannpreis und bildete somit die höchste Stelle des ganzen Szenarios. Nach einer Sekunde der absoluten Stille, vergleichbar mit dem Auge eines Hurrikans, wurde das Innere der Erde nach außen gekehrt. Schlimmer als 1 Million Wasserstoffbomben und lauter als 2 Millionen Susaphone, brach ein Höllenfeuer aus, dem keine menschliche Beschreibung gerecht werden könnte.

22:00
Das Schauspiel war vorbei. Der Mond strahlte auf ein Meer aus gelbem Schwefelwasser, aus dem eine Unzahl von noch qualmenden, aber ansonsten recht gemütlichen, Vulkanen aufragte. Einer der Erhebungen war spitzer und geradliniger als die anderen. An seiner Spitze ragte eine postklassizistische Nachtischlampe in den Abendhimmel. Auf dem kleinen angebrannten Schild am Fuß der Lampe stand eine Jahreszahl. Und daneben in dunklen Lettern – Beckmann.

Epilog
Znork vom Planeten Fukziplonk musste pinkeln. Naja, nicht eigentlich Pinkeln, wie wir humanoide das so kennen, es ist das, was die Spezies der Plumpskratowoden tun müssen, wenn Sie bereits mehr als 2 Lichtjahre unterwegs sind und es einfach nicht mehr halten können. Die genaue Beschreibung des Vorganges interessiert eigentlich niemanden und ist auch zu ekelhaft um auch nur irgendwie beschrieben zu werden. Egal. Znork musste pinkeln. Der einzige Planet der in der Nähe war und sich dafür eignete war ein kleiner blauer mit einem Mond daneben. Znork landete und verrichtete sein Geschäft, oder wie man es auch immer nennen möchte. Als er fertig war schaute er sich um und entdeckte eine postklassizistische Nachtischlampe. Wunderte sich kurz, stieß einen absolut heftigen Fluch aus und trat mit dem, was Humanoide eventuell als Fuß bezeichnen würden, dagegen. Dann stieg er in sein Raumschiff und flog weiter in Richtung Fukziplonk.