Jurystimmen

Dr. Christoph Horst, Ranner Daniel, Mag. Wagner-Staritz Andrea (koordiniert von Dr. Schübl Elmar)



Zum vierten Mal Krachmann-Preis-Wochenende im Waldviertel. Wieder haben alle mit mehr oder weniger großen Schwierigkeiten den Weg gefunden. Wieder haben wir zähneklappernd den Grill- und Beilagenköstlichkeiten zugesprochen und sind dann in die blubbernde Wärme der Loicht’schen Stube getaucht. Wieder das übliche Gemotze über ein angeblich bescheuertes Motto und dessen Er­finder. Und wieder eine Jury mit einem neuen Mitglied – der langsamen Gender-Öffnung (eher biologisch, eigentlich) des Krachmann-Preises Rechnung tragend einem weiblichen. Oder/und um dem drohenden Mief artifizieller Männerbündlerei zu entrinnen. Oder einfach nur so.

Und dann die Lesung: mit bewährten Veteranen und begeisternden Newcomern. Und wer heuer fehlte, wird hoffentlich nächstes Jahr wieder dabei sein.

Den Auftakt setzte Markus Spiegelfeld, der das Thema kulinarisch aufmischte, und schon auf Grund der würzigen Kürze der eigen­willigen Zutaten in Erinnerung bleibt.

Günter Nowak schloss an mit einem formal als Bericht gestalteten Text, der mit einer Fülle an konkreten Personen, Orten und tatsächlichen Begebenheiten eine bereits historische wissenschaftlich-wirtschaftlich-gesellschaftspolitische Epoche als geradezu gespenstisch in unserer Zukunft sich fortsetzenden Albtraum entlarvt. Hervorgehoben sei außerdem und ausdrücklich die treffliche und historisch längst überfällige atmosphärische Schilderung des Wiener Audimax zu Beginn der frühen 80er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Ganz anders der elegische Text von Gregor Zentner, der das Thema der Sprachlosigkeit nicht bloß eindrücklich darstellt, sondern über den Selbstversuch hinaus als kongruente Folge in einer in Schweden angesiedelten Kaspar Hauser-Erzählung abhandelt und damit das Volapük-Motto an die Grenze zwischen Historie und Märchen driften lässt.

Stefan Loicht ist uns schon bekannt als poeta doctus, der sein über­bordendes historisches Wissen als Hymne an die Bildung – wie an sich selbst – in ihrer Totalität feiert und schließlich ad absurdum führt. Ein literarischer Leckerbissen ist, wie der Autor das heurige Krachmann-Preis-Thema (wer hat’s erfunden?) in die Metapher des dreisprachigen Ortsnamens Karfreit/Kobarid/Caporetto im Soca/Isonzotal kleidet. Sigrid Löffler würde sagen: Meta-Literatur in hoher Vollendung und Marcel Reich-Ranicki hätte ihr wohl nicht widersprochen.

Christian Ondraks Text wirft – formal anspruchsvoll in der Technik der Rückblende und mit bizarrem Schluss – ein Schlaglicht auf eine Form der Bildungs- und Gesellschaftspolitik, die uns nicht unbekannt erscheint.

Mit dem ironischen Blick des Newcomers verknüpft Christian Wei­mann eine Thematisierung des ja tatsächlich leicht abstrusen Konstrukts „Krachmann-Preis“ mit der Thematisierung des heurigen Themas selbst. Aus der drohenden Schlinge, allzu sehr das aktuelle eigene Autorenschicksal zu bejammern, befreit sich Weimann mit einem Salto und landet in der grenzenlosen Sprachverwirrung.

Wie nicht anders erwartet brilliert auch heuer Victor Stehmann – ­obwohl selbst nicht anwesend – mit einem surrealen Stück. Aus­gehend von einem Wiener Nachtcafé strudelt der Text in den Kosmos einer aus den Fugen geratenden Welt. Kafka und Andrea Camilleri (billige Ziegel aus Sizilien bringen den Turmbau zu Babel zum Einsturz) stehen Pate, der Babelvogel Volapük verleiht dem Helden der Geschichte Macht über die Welt. Aber aus Wien gibt es kein Entrinnen. Von Feinden gejagt, landet der Held wieder im 24-Stunden-Café.

In teils poetischen, teils wisenschaftlichen „Epi-Fragmenten“ huldigt Harald Schmidt dem Schauplatz und den Teilnehmern des Krachmann-Preises. Ist Volapük am Ende Krachmann, fragt sich bestürzt der Zuhörer?

Sprachliche Kunst und künstliche Sprache. Wessen von beidem be­dienen sich die Politiker, die sich ja stets der Kunst des Möglichen rühmen? Kann diese Wirklichkeit des Möglichen eine Kunst des Un­möglichen ersetzen? Wenn Volapük die Kunstsprache, sprechen dann Politiker die wirkliche Sprache? Fragen, denen sich Sabina Loicht stellt, wobei sie zu einer verblüffenden These gelangt: Politiker sprechen Volapük, die gescheiterte Kunstsprache. Den Beweis erbringt die Autorin mit einer genialen Collage von Politiker-Statements: von historisch („Ein Team, wie ich es habe, hat sonst niemand“ – W. Molterer) bis selbstreferenziell („Jeder weiß, dass bei uns die Politik durchaus gesellig angelegt ist“ – J. Haider). Sabinas Leistung ist hohe Konzeptkunst, die Material zur Komposition verdichtet und sich durch Handhabung eines auf das Elementare reduzierten Requisits bis dicht an die Grenze der szenischen Lesung wagt.

Als letzten in der illustren Runde traf das Leselos Stefan Wurst, von dem die Jury hinlänglich weiß (neu nominierte Jurymitglieder werden unverzüglich davon in Kenntnis gesetzt), dass der ihm beim ersten Krachmann-Preis-Wettbewerb zum Thema „Anzeichen für vulkanische Aktivität in Mitteleuropa“ entgegengebrachte Vorwurf der leichten Themenverfehlung, der ihm anstelle des offenkundlich als selbstverständlich erwarteten Krachmann-Preises einen von ihm so bezeichneten „Trostpreis“ einbrachte, immer noch so tief an ihm nagt wie ein vorenthaltener Elfmeter am Stürmer eines Championsleague-Endspiels. Während indes vergleichbare Autoren – jeder denkt da sofort an den Griffener Nobelpreis-Aspiranten – sich gekränkt aufs Burgtheater zurückgezogen hätten, nahm Stefan Wurst den von ihm erfundenen Fehdehandschuh auf, um gegen Ungenannte und die Jury als solche zu Felde zu ziehen. Volapük wurde zum literarischen Schlachtfeld, „fözelék“ zum Kampfruf, hinter dem sich das Auditorium in Eisengrabern, die Jury eingeschlossen, scharte.


Die Entscheidung wogte zwischen Novak, Stehmann und Wurst hin und her. Den Ausschlag gab schließlich die Anerkennung der schier unnachvollziehbaren Wurst’schen literarischen Recherche, in deren Verlauf nicht weniger als 47 internationale Testpersonen die Vermutung der Krachmann-Preis-Jury bestätigten, dass ihnen das diesjährige Thema absolut rein gar nichts sage.

Stefan Wurst wurde einstimmig der Krachmann-Preis 2008 zuerkannt. Die Jury legt dabei Wert darauf, dass dies kein Racheakt gegen den vom Preisträger als „auf irgendeinem sozialistischen Pensionistenflohmarkt überteuert um 5 Schilling (40 Cent) erstandenen“ Preispokal ist, den Stefan Wurst jetzt mit seinem Namen gravieren lassen muss.

Der zweite Preis wurde Günter Nowak, der dritte Victor Stehmann  zuerkannt.

Mit einer lobenden Anerkennung wurden Sabina Loicht und Gregor Zentner ausgezeichnet.

Es verbleibt der Jury, die Gastfreundschaft von Sabina und Stefan zu würdigen, und dass sich mit Max und seinen Freunden heuer zum ersten Mal eine neue Generation der Ehrung der Krachmann-Preisträger angenommen hat.