Wir verstehen uns

Loicht Stefan


Gottes Segen, meine lieben Krachmännerinnen, ich bin es, euer Gottlieb Amadeus Heidenschreck, gewöhnt an all die Genies an Hinterlist und Heimtücke, die unseren mit ukrainischem Polonium verseuchten Planeten bevölkern und möchte euch vom XVII. babylonischen Kongress der Sprachforscher berichten.

Als mein Domkapitel erfuhr, dass diese Synode der Sprachgewaltigen vonstatten gehen sollte, wurde ich ohne Umschweife und dank der unnachahmlichen Naivität meines Bischofs („Bücher haben doch auch Kapitel, da stehen Wörter drinnen und Wörter redet man“) als Deputierter nominiert.

Wie zu erwarten, war das Stimmengewirr ein unbeschreibliches, da es um nichts weniger als eine weltumspannende Sprache ging, die die Völker dieser Welt vereinigen könnte. Allein der Ort der Zusammenkunft war schon kontroversiell genug gewählt, kam es denn sowohl in Kobarid, als auch in Karfreit und Caporetto zur Tagung.

Prompt behaupteten die Romanisten das Heimatrecht, als sie auch schon von definitiv unorganisierten Slawistenhorden, deren Hauptargumente aggressive politische Gedanken waren, über die Soca getrieben wurden. Expansionswütige Germanisten (auf deren Banner der Spruch „Von der Maas bis an die Memel deutsche Weiber, deutscher Wein, wir kriegen euch mit Goethe klein!“ zu lesen war) schlugen eine Brücke über den Isonzo, bis sie von windischen Dialektguerillas über nicht existente napoleonische Sprachgrenzen -   irregeleiteten Mönchen am Tagliamento verortet - zurückgeworfen wurden.

Aber gemach: um einen repräsentativen Überblick über die teilweise nicht ganz zurechnungsfähigen Disputanten zu bieten, darf ich in kurzer Folge einige der Teilnehmer am Kongress vorstellen:
Da wäre mal Beckmann - trotz seiner phonetischen Nähe zu einem bekannten Metrosexuellen genau sein Gegenteil, nämlich des Ballspiels unfähig, asexuell und der Öffentlichkeit abhold -, ein Zyniker reinsten Wiener Leitungswassers, der gerne seine amerikanischen Aktienoptionen nutzt, um in übel beleumundeten fernöstlichen Ländern Urlaub zu machen. Sein ebenfalls der Linguistik verschriebener Vetter, ein Blödel mosaischen Glaubens, legt sich gerne mit dem Heiligen Stuhl an.

Uriel R. D. Rucker, der Heidegger (Martin, nicht Klaus) sportlich sieht, sich gerne auf Computerprobleme ausredet und sich schließlich immer abdichtet.

Vincent von Meriden, ein durch und durch anglophiler Gelehrter, der sich bevorzugt mittels Finnen und etwas von Entenschwänzen, aber nichts von Belgiern versteht.

Die unzertrennlichen Herren Meils und Moor, Poeten des Grauens und muntere Gesellen obendrein, jeglichem Gesichtsbiber feindlich gesinnt und in einer Wahlkampfzeitschleife gefangen.

Speerweich Häusler, der immer nur so tut, als ob er partizipiert aber eigentlich nur von einer Karriere als Tambourmajor träumt.

Em, der manchmal als Es auftritt, sich stets verloren und missverstanden fühlt und darob einfach die physischen Vorteile seiner Transzendentalität nutzend alles plattwalzt.

Der überzeugte (ist das so was wie überdüngt?) Europäer Baselich Guckhügel, der nicht von der Illusion von Illinois lassen kann.

Aral Hephaistos, ein greko-georgierscher Schlachtenkundler mit unnatürlichem Hang zum Konstruktiven.

Der nebenberuflich mit Zins- und Hühnerfüßen handelnde Chesus Slovensko, Josef Venters Neffe, der ihn angeblich mit den Worten „Gütiges Genom! Volkes Vielfalt!“ in die Familie aufgenommen haben soll.

Pipst Hunderter, ein karitativ engagierter Gutmensch, der dennoch mit der Sprache, soweit sie ihn betrifft, einen Privatkrieg ficht. Sein Romandebut „Being Hilmar Kabas“ wurde im Übrigen von Franz Fiat Kupplunger mit Fiona Swarovski-Grasser in der Hauptrolle verfilmt und ein derart epochaler Flop, dass nicht einmal die Harley-Davidson-Senioren Guntramsdorf Nord Gratiskarten annahmen.

Die respektvoll von den anderen „Die“ genannte Feigtalerin, deren Teilnahme alleine schon eine Sensation war.

Der Nietzsche verehrende Bruce-Willis-Apologet Gundahar Neveux, dessen Kopfbehaarung die psychologisch entlarvende Diskrepanz zum Vorbild offenbart. Er hat nämlich Angst vor Frauen.

Und schließlich der alles überstrahlende Stern des Wörtersees, der 817te der mächtigsten Alpenpannonier, der Doyen des geschriebenen Witzes, der Dichterfürst des Belanglosen, der Königsturm im Spiel des Kommentars, der wahre Wärter des Wohlformulierten: Esteban Krakauer.

So kamen nun also all diese Gelehrten zusammen, um sich solange über Kommunikationsformen auszutauschen, bis sie etwas finden würden, das die Sprachgrenzen zum Verschwimmen und schließlich zum Verschwinden brächte. Etwas zu finden, so dass sich die Menschheit grenzüberschreitend verstehen könnte.

Schön waren die mit feinziselierten Konversationsanalysen unterlegten Annäherungen zu sehen: so warf sich zum Beispiel Em mit einem dreifachen Rittberger auf den eh schon am Boden liegenden Krakauer und argumentierte das mit dem Gewicht seiner unverständlichen Aussagen.

Häusler und Guckhügel redeten solange an einander vorbei, bis sogar die Bundesbahnen ihren Fahrplan nicht mehr peinlich finden würden. Hunderter und „Die“ sahen sich in die Augen, fanden sich nett, kommunizierten aber alles, was sie sich sagen wollten qua beidseitigem wassserfälligem Sprudelsprech ins sprachliche Nirwana.

Slovensko und Hephaistos sprachen zwar miteinander Zipser Dialekt, was die einen aber für Sanskrit, die anderen für eine ugurische Variante des Abchasischen hielten.

Niemals zuvor hatte das Dreistromland einen solchen Aufruhr der Idiome erlebt.

Wie könnte diese verbale Kakophonie dergestalt kanalisiert werden, als dass fürderhin keine Schranken mehr bestehen würden? Ein Vorschlag war, „Polari“ wiederzubeleben. Ich darf an dieser Stelle ausnahmsweise aus der Wikipedia zitieren:

Polari (auch: palare) war in den frühen 1960ern eine konstruierte Sprache der Homosexuellengemeinde in Großbritannien, besonders in London. Sie setzt sich aus verschiedensten Spracheneinflüssen zusammen, darunter Romani (Sprache der Roma), Englisch, Italienisch, Jiddisch, Cockney, Matrosenslang und Theatersprache, wobei die Grammatik auf dem Englischen basiert. Zeitweise war die Verwendung von Polari in England auch in den Medien verbreitet, z.B. im BBC Radioprogramm. Einige Begriffe haben Eingang in den Mainstream-Slang gefunden. Heute ist diese Kunstsprache in Vergessenheit geraten.Z.B. „Schau dir den tollen schwulen Mann mit seinem hübschen Gesicht und seiner fantastischen Frisur an!“ würde dem Eingeweihten in verständlichem Polari ungefähr so klingen:

„Vada that bona omi-paloni with his dolly eek and fantabulosa riah!“

Na, man kann sich vorstellen, wie den nicht zuletzt in Marbach an der Lahn geschulten Deutschkundlern das Geimpfte aufging. Das war es also nicht.

„Esperanto!“ rief einer, aber das war in Zeiten der in Verruf geratenen proletarischen Bildungsbewegungen doch nicht mehrheitsfähig, vor allem seit Elsner nicht mehr mit Branko assoziiert wurde.

Krakauer wurde unter Druck (siehe oben) nicht müde, das Lateinische als alles Verbindende zu propagieren, was ihm zusätzlich zur vertikalen nun auch horizontale Gewalteinwirkung in Form von Faustwatschen, verabreicht von Rucker, der als Giebelkreuzemissär La Tein für ein nicht vom Lagerhaus vertriebenes Saatgut hielt, einbrachte.

„Kreaturen!“, raunte Vincent von Meriden, als die bartverachtenden Zwillinge M&M gebetsmühlenhaft reichsgräflichen Beistand erheischend ihr vermeintlich nepalesisches Ariertum als global verständliche Basis erscheinen ließen; das war nun wirklich unzumutbar, obwohl das indogermanische Element mit seinem endemischen Parsifalismus der Sache einen gewissen Reiz verlieh.
Beckmann und sein Verwandter Frömmlich saßen inzwischen bei Pilsener Ruhrquell an der Bar des Kongresshotels „Zum Albernern Adler“, wo sie sich in tatsächlich nicht nachvollziehbaren Zwiegesprächen über die Transkription des Tractatus logico-philosophicus ins Klingonische ergingen. Robert de Nirosta gesellte sich zu ihnen, um über die aus nicht wirklich bizarren Gründen untergegangenen Sprachen der mittelamerikanischen Völker der Xintochtrotl und Frauequotl zu mutmaßen. „Ich bin zwei rumänische Ostbanden!“, brüllte der mittlerweile als Vin Biodiesel verkleidete Rucker und kündigte an, Morpheus mit der Motorsäge massakrieren zu wollen.

Es schien, als dass die Superstars der Semiotik in den Sumpf des Salbaderns sanken.

Guckhügel hielt einen Vortrag, wonach Alliterationen Handelsware aus der Manufaktur für verlorene rote Fäden, Seidenschnüre und Galgenstricke seien, was Hephaistos ihn einen Ahnungs-loser heißen und zum Gegenschlag mit der Gesamtausgabe der Encyclopedia Britannica auf des Kontrahenten Denkerstirn ausholen ließ (er hatte einen patentierten Taschenkran aus dem Hause Hiab).

„Den damischen Halawachl tät ich gern amal verhohnepipeln“, dachte sich Slovensko als Hunderter ex cathedra postulierte, dass geringer Haarwuchs beziehungsweise Haarausfall eindeutige Zeichen evolutionären Vorsprungs seien, da Affen ja ziemlich behaart wären (er sagte: „Oida, je Glatze, desto Gen“).

Neveux gab derweil Proben aus seinem Misserfolgsstück „The Screwing of the Shrew“, die er für seinen Auftritt bei dem Fernsehgesprächsmeister Johannes B. Scheuert einstudierte, zum Besten. Im Übrigen wollte „Die“ in derselben Show ihr Buch „Schmalz auf unserer Haut“ promoten, wobei sie sich aber mit dem Hinweis, dass das Leitmotiv eine Geschlechtskrankheit namens Malaparte sei, selbst disqualifizierte.

Je später der Abend wurde, desto enervierter agierten die von der Unesco auch als Schiedsrichter bestellten Gastgeber dieses multilingualen Waterloos: Agilmar J. Fudd und Waldmann Columbus. Der Auftrag lautete nämlich, nach nur einem Tag mit brauchbaren Ergebnissen aufwarten zu können, die bei der einzigen UNO-Vollversammlung in diesem Jahrzehnt präsentiert und beschlossen werden sollten.

„Kann ich Armeen aus der Erde stampfen, wächst mir ein Kornfeld auf der flachen Hand?“, herrschte Waldmann seinen Kompagnon an, nachdem ihm dieser mit den Worten „Sie Nebenerwerbsguru taugen nicht einmal zum Schwechater-Mann!“ Versäumnisse bei der Auswahl der Maestros der Morphologie vorgeworfen hatte.

Sie schlichteten aber alsbald ihren Streit, sperrten all die Diskursdilettanten in den aufgelassenen Heizungskeller, warfen den Schlüssel weg, betranken sich gnadenlos, und fragten mich, was zu tun sei.

Die Kirche wartet nur auf solche Gelegenheiten und so konnte ich den verzweifelten Richtern über die Zukunft der Weltsprache eine Erfindung eines wunderlichen (was kümmert das den Rechtgläubigen?) katholischen Pfarrers aus dem lieblichen Oberlauda (wo das größte oberschlächtige Mühlrad Süddeutschlands mit einem Durchmesser von 8,5 Metern steht), Johann Martin Schleyer, unterjubeln.

Dieser spätere Hausprälat, der mit zahlreichen Brandreden gegen die Geißeln nicht nur seiner Zeit, nämlich Kommunisten, Atheisten, Altkatholiken und Mischehen, seiner Zunft zur Zierde gereichte, entwickelte im 19. Jahrhundert die gottgerechte Plansprache „Volapük“. Dankbar und in nicht mehr widerspruchsfähigem Zustand schlossen Columbus und Fudd ihren Akt und entschwanden gen New York.

Und die Koryphäen des Katastrophenkolloquiums? Dereinst wird sich ein anderer Zweig der Wissenschaft solange mit einer rätselhaften, nicht erklärbaren Massengrabkammer, in der die Skelette ein scheinbar typographisches Muster bilden, beschäftigen, bis eine pensionierte Volksschullehrerin namens Gretchen Rumpelstilz die kryptischen Runen an der Wand als „Warum haben wir nicht geschwiegen?“ entziffern wird.

Ich aber habe wieder einmal meinem Bistum einen Dienst erwiesen, schnürte mein Ränzlein und machte mich über die Alpen auf, um meinem Bischof vom neuerlichen Durchsetzen der Ecclesia zu berichten. Er verstand wie üblich nur die Hälfte und sagte: „Endlich! Volan, Püke Dich.“