Jurystimmen

Dr. Christoph Horst, Dr. Schübl Elmar, Ranner Daniel


Ein sonniger Herbsttag trieb uns ins Waldviertel zu einem literarischen Fest der besonderen Art, das heuer bereits zum fünften Mal stattfand. Also – großer Bahnhof und große Preise, die natürlich wieder aus den kosmopolitischen Luxusecken sozialdemokratischer Wohnzimmer stammen und vom Gastgeber angeblich auf Flohmärkten sichergestellt worden sind.

Einem ungeschriebenen Gesetz zur Folge zieht Michael Drucker stets Los Nummer 1 und eröffnete also auch heuer das Krachmannwettlesen, das traditionell in der Casa Maximiliana (Eisengraberamt 83) und diesmal zufällig am Tag der Deutschen Einheit stattfand. Drucker, der sich im Laufe der Jahre zum Dichterfürsten wandelte, war heuer der einzige, der Lyrik zum Besten gab. Er verdeutlichte in seinem Lehrgedicht eindrucksvoll, warum Rainer Maria Rilke in der Bahnhofs-restauration Knittelfeld keine Elegie zu vollenden vermochte.

Harry Schmidt beglückte uns mit geistreichen Ausführungen zum Thema Partnersuche im Internet: „Molly gibt es so nicht – zumindest kenne ich sie nicht“. Der Text bot Gelegenheit zu grundsätzlichen Reflexionen über Gott und die Welt, was ja auch im Sinne des Krachmann-Preises ist.

Günter Nowak, der uns bislang mit ironischen Texten begeistert hatte, schlug beim heurigen Jubiläumslesen einen anderen, ernsteren Ton an. In seiner Erzählung brachte er uns ein österreichisches Schicksal näher, in welchem der Franz-Josefs-Bahnhof den Dreh- und Angelpunkt bildet. Mit diesem subtil autobiographischen Beitrag setzt der Autor große österreichische Erzählkunst fort, erinnert sei nur an Joseph Roth, dessen Stern vor 70 Jahren erlosch. Die Jury war sich einig, dass Günter Nowak den Krachmann-Preis 2009 für sich entscheiden konnte.

Victor Stehmann
verdanken wir die Bekanntschaft mit Ingenieur Kotscher, der mit Beckmann, Moische Frömmlich und Heisenberger das Schicksal teilt, ein Held des Stehmann’schen Universums zu sein. Und in dieses Universum einzutauchen, bereitet nicht nur den Juroren stets ein großes Vergnügen. Der heurigen Tendenz zum Realismus folgend, ist auch Kotschers Modellwelt kein Abbild der platonischen Ideenwelt oder gar des Gottesstaates des verehrten Herrn Augustin. Der Mensch lebt nicht nur von Ideen oder Plastik allein, nein – da-zwischen muss auch noch etwas anderes sein. Wir haben nicht nur Hansi Lang, sondern auch Ingenieur Kotscher verloren.

Mit einem „Tatsachenbericht“ wartete Reinhard Mechtler auf. Alles Bahnhof oder großer Bahnhof? Einfach Bahnhof pur!

Markus Johann Steinbichler demonstrierte im Jubiläumsjahr eindrucksvoll, dass der Krachmann-Preis schlechthin die Plattform für den hoffnungsfrohen Literatennachwuchs ist. Steinbichler wurde der zweite Preis zuerkannt. Auch in formaler Hinsicht wusste sein Beitrag zu entsprechen; wir zitieren: „Bitteschön-alleruntertänigst-mein-fragwürdiger-Krachmann-2009-Debüt-Beitrag-mit-dem-überaus-klingenden-Titel: Nennt es, wie ihr wollt! Oder: Viel nichts um Lärm“. Willkommen im Klub!

Christian Ondrak wandelte mit seiner Traum-Erzählung auf den
Pfaden von Sigmund Freud. Der Weg führt uns in eine große Bahnhofshalle, wo Orientierung unmöglich wird. Ein Freud’sches Schicksal? – Sie verstehen Bahnhof?

Stefan Loicht führte uns mit „Eine Parallelaktion“ durch die Ge-schichte der (Kron-)Länder des Habsburgerreiches. Als intimer Kenner der österreichischen Verwaltungspraxis, der österreichischen Regionalgeschichte(n) und nicht zuletzt der österreichischen Weltliteratur vermochte er, weitere Kostbarkeiten einer großen, längst vergangenen Zeit ins rechte (linke?) Licht zu rücken. Es stellt sich die Frage, ob zwischen dem Studienabbruch des Autors und dem Niedergang der Österreichischen Geschichte an den heimischen Universitäten ein Zusammenhang besteht. Der Österreichischen Geschichte ist jedenfalls ein geistreicher Kopf verloren gegangen.

Mit viel Charme und Witz erreichte Sabina Loicht eine Annährung von Krachmann und Bachmann. Zum Gelingen ihrer Email-Erzählung trugen auch Daniel Glattauer, Stefan Slupetzky, Franzobel, Thomas Glavinic und Armin Thurnher bei. So wurde der Text zu einem bemerkenswerten Stück Konzeptliteratur.

An den großen Thomas Bernhard erinnernd, brachte Christian Weimann die Tragik des Katholizismus – nicht nur, aber eben auch im viel gerühmten Österreich – auf den Punkt/Tisch: Zwischen einem Schluck Bier und der unvermeidlichen Reflexion keimt die Hoffnung (zumindest) auf einen würdigen Empfang im Himmelreich, das wir uns vielleicht als großen Bahnhof vorstellen dürfen. Weimann (oder doch Weihmann?) erhielt den dritten Preis, aber wir wissen alle: Die Letzten/Dritten werden (irgendwann) die Ersten sein.

Zum fünfjährigen Bestehen des inzwischen weit über die Grenzen des Waldviertels hinaus bekannten „Krachmannes“ wurden auf Vorschlag der Jury heuer Sonderpreise verliehen, die in ihrer Materialisation der eingangs erwähnten kosmopolitisch-sozialdemokratischen Wohnzimmerästhetik der Krachmann-Tradition gerecht wurden. Die leuchtende Pisakugel - oder war es ein Turm? - ging an Victor Stehmann, dessen Sprache uns schon immer fasziniert hat.

Den zweiten Preis teilten sich Sabina und Stefan Loicht, die uns stets königlich beherbergen, fürstlich bewirten und – nicht zuletzt – mit literarischen Köstlichkeiten verwöhnen. Dafür, auch im Namen aller KrachmännerInnen (Horst Christoph distanziert sich hier aus- und nachdrücklich von der Untugend des sogenannten „Binnen-I“): Vielen herzlichen Dank!

Der dritte Preis wurde Reinhard Mechtler verliehen, weil er schon immer anders geschrieben hat als alle Anderen.


Herzlichen Glückwunsch!