Wie alles begann …

recherchiert und niedergeschrieben von Andreas Gruber

Nur wenige wissen, dass es den weltweit angesehenen und von Neidern beäugten Krachmann-Literaturpreis nicht erst seit 2005 gibt.

Wenigen Eingeweihten ist bekannt, dass dieser erlauchte Literatur-Zirkel auf eine ebenso niveauvoll anspruchsvolle wie erlesene und nur in gewissen Kreisen bekannte Tradition zurückgeht. Und darüber soll hier berichtet werden … über die geistigen Vorväter und Ursprünge des Krachmann-Preises.

Es trug sich im 18. Jahrhundert zu, genauer gesagt 1745, als Lady Loicht einen Gutssitz von nicht geringem Ausmaß im Waldviertel von Sir Wood­quarter erwarb. Fünfzehntausend Hektar Wald und saftiges Hügel­land sollten es sein, mit Scheunen und Reitställen, zwischen denen einige Bächlein funkelnd sprudelten, neben denen sich satte Schafherden tummelten. Auf einer Anhöhe, umschienen von der Abendsonne, lag das Anwesen von Lady Loicht, eine prunkvolle Villa mit Kamin, vor dem sie abends in einer Chaiselongue ausgestreckt wie ein Ölgemälde auf Leinen lag und ihrem Haustier Johann, ein Wolfshund mit riesigem Fang und dem Fell wie dem eines Bären, aber dem Gemüt eines Schoßhundes, aus ihrem Lyrikbändchen vortrug. Der treue Butler Stephen, der Zeit seines Lebens und solange er denken konnte in ihren Diensten stand, reichte dazu erlesenen Wein sowie Trauben aus dem eigenen Garten.

Lady Loicht, so abseits vom gesellschaftlichen Leben Wiens und der k.u.k. Monarchie sie auch lebte, blieb stets ihren geistigen Ansprüchen treu, da sie als gebildete und wortgewandte Dame in den intellektuellen Kreisen Preußens und der Monarchie hoch angesehen war. So kam es, dass sie jährlich die Elite der Denker und Dichter Mitteleuropas zu einem Wochenende auf ihren Landsitz einlud, um sich in hintergründige Gespräche zu vertiefen.

In einem von Nebel verhangenem Herbst des Jahres 1745 trug es sich nun zu, dass der treue Butler Stephen den Kamin mit Holz und Tannenzapfen füllte, ein wärmendes Feuer entfachte, die Betten der Gäste­zimmer mit frischen Laken überzog und für reichlich Wein und Naschereien sorgte. Haustier Johann kuschelte sich zu Lady Loichts Füßen und harrte in ­froher Erwartung der ersten Besucher, die nicht lange auf sich warten ließen.

Alsbald rollte die erste Kutsche den Hügel hinauf und hielt vor dem Anwesen. Butler Stephen brachte die vor Schweiß dampfenden Pferde in den Stall und geleitete Montesquieu Christián D´Ondrak, der aus dem fernen Paris angereist war, ins Haus.

„Die neueste Mode?“, fragte Butler Stephen sichtlich beeindruckt.

„Gewiss, gewiss, mein Guter“, antwortete der Montesquieu und schlug den Kragen seines schweren, staubigen Ledermantels um. Drei Tage Kutschfahrt hatten den Schatten eines Bartes auf seine Wangen gezeichnet und das schüttere Haar vom Wind zerzaust. Seine Zofe Irena, mit der er seit Jahren ein intimes Verhältnis pflegte, drückte sich indessen innig an seine Seite.

Schon bald danach landete Graf von Wurst aus Preußen auf der ­Wiese vor der Villa. Als Advokat, der es geschickt verstand, die Mächtigen Preußens mit seinem gewitzten juristischen Rat zu versorgen, mangelte es ihm weder an reichlich bezahlten Honoraren, noch seinem Talent der Konstruktion, weshalb er mit einem selbst entworfenen Zeppelin durch die Nebelbank vom Himmel herabstieg. Auch er wurde vom treuen ­Butler Stephen empfangen und ins Haus geleitet.

„Ihr reist allein?“

„Aber nicht doch, mein Bester – kümmert euch wohl um meine Begleiterin“, antwortete Graf von Wurst erhaben und drückte dem ergebenen Butler den kleinen Hund Lisbeth in die Hand.

Mitten in Sturm gepeitschter Nacht traf der britische Lyriker Viscount Michael Roof-Drucker hoch zu Pferde ein, in Begleitung seines Dieners Phallander. Er schwang sich behände von seinem schwarzen Ross und ging leichtfüßig zum Stall als wäre er nicht drei Tage und drei Nächte mit der Fähre über den Kanal gesetzt und von Wales bis ins Waldviertel durchgeritten. Der treue Butler Stephen empfing ihn sogleich mit einem stärkenden Brandy, den Viscount Michael Roof-Drucker ohne zu zögern seinem erfrorenen Gaul einflößte während er sich selbst eine wärmende Pfeife ansteckte und seinen Diener Phallander am parfümierten Rauch teilhaben ließ.

Als eine der schillerndsten Persönlichkeiten darf wohl Fürst Nowak genannt werden, der vom großen Bahnhof angereist kam, und der im Jahr davor seine Kollegen ziemlich überraschte, als er sich selbst seinen Hoden­sack an die Tischplatte antuckerte. Für derlei avantgardistische und künstlerisch provokative Gustostücke der Performance ist er sogar über die Landesgrenzen hinweg bekannt.

Aus dem Süden des Landes kam Baron Christian Weimann mit einem qualmenden und Funken sprühenden Wunderwerk der Technik angereist, das er selbst als Automobil bezeichnete.

Schließlich gesellte sich noch auf Geheiß Lady Loichts der junge Stallbursche Markus zu der Runde, dem ein ausgezeichnetes fotographisches Gedächtnis wie auch eine unglaubliche Beobachtungsgabe nachgesagt wurden. Markus wurde dereinst als Findelkind von Bauersleuten im so genannten Land der 1000 Hügel gefunden, im Strohkorb vor einem ­alten Haus. Bloß eine handschriftliche Notiz lag daneben. Kümmert euch gut um meinen braven Jungen, Elfride F. Das ließ sich Lady Loicht nicht zweimal sagen und nahm dies junge Talent unter ihre Fittiche, auf das es bald zur intellektuellen Größe, zur Créme de la Créme, zur High Society, zu den Vordenkern und Pionieren Mitteleuropas zählen würde.

Zu guter letzt trafen noch zwei unauffällige Beobachter ein, die sich in den Disput der Dichter und Denker nicht einmischten, sondern lustvoll, interessiert und amüsiert den Diskussionen lauschten und sich dadurch auszeichneten, dass sie abschließend zu den geistigen Ergüssen ein ebenso bereicherndes wie pointiertes Resümee abgaben. Bei den beiden erlesenen und belesenen Biographen handelte es sich um niemand geringeren als Doktor Elmar Schübl, Professor für Kunstgeschichte an der Universität zu Wien, ausgezeichnet mit dem k.u.k. Haus- & Hoforden des Kaisers höchstpersönlich, und Doktor Christoph Freiherr von Horst, ein Mann mit wallend weißem Haar, der im Profil dem großen Denker Aristoteles wie aus dem Gesicht geschnitten war und welcher der geistigen Tradition Jean-Jacques Rousseaus, Voltaires, Jonathan Swifts und Henry David Thoreaus folgte.

Als Ehrenschutz unter angesehener Schirmherrschaft konnte man sich niemand besseren wünschen, als unter der Obhut dieser beiden Kunst-Mäzenen zu stehen.

Der treue Butler Stephen kümmerte sich alljährlich darum, die Niederschriften in der Wiener k.u.k. Druckerei in dicke Folianten binden zu lassen, die den Kaminsims der Lady Loicht zierten und in denen sie oftmals melancholisch und in Gedanken versunken blätterte, während Haustier Johann murrend zu ihren Füßen schlummerte während ein Schaum­bläschen in seinem Mundwinkel zerplatzte.

So – oder so ähnlich – muss es sich im kalten, bitteren Herbst des ­Jahres 1745 zugetragen haben. Mancher Zeitgenosse und Zeitzeuge möchte meinen, es existiere die Wiedergeburt nicht nur im fernen Asien sondern auch in unserem Abendland – andere möchten meinen, die Geschichte selbst sei es, die sich ständig wiederhole wie ein Rad, das sich auf Ewigkeiten drehe. Allerdings gilt, wie aus gut informierten Kreisen bestätigt, dass sich das Anwesen Lady Loichts nach zahlreichen Aufständen, Enteignungen, Bürgerkriegen, Revolutionen und gar zwei Weltkriegen, exakt 260 Jahren später, nun wieder, wie es der Zufall will, im Besitz der Familie Loicht befindet. Bei groben Umbau- und Renovierungsarbeiten wurde im Keller des Hauses eine geheime Bodenluke entdeckt, die über eine steile Holztreppe in das Erdreich führte, wo eine geheime Bibliothek lag. Dort entdeckten die Nachfahren von Lady Loicht und Butler Stephen Aufzeichnungen jener kulturellen Wochenenden, die zuvor geschildert wurden. Rasch konnten auf Grund diverser Aufzeichnungen auf brüchigem Pergaments und zerbröselter Folianten aus der k.u.k. Druckerei Wiens die Ereignisse der damaligen Zeit rekonstruiert werden, was wohl dazu führte, dass diese gute und alte Tradition wieder auflebte.

Dieser Tage, im Herbst des Jahres 2011, wiederholt und jährt sich nun zum siebten Male das Zusammentreffen der europäischen Denker und Philosophen, absolut verkannt und unterschätzt, um die Welt mit ihren geistigen Niederschriften zu bereichern. Den glücklichen Gewinnern, von einer Jury gelobt und als preiswürdig erachtet, winkt eine nicht zu unterschätzende antiquarische Aufmerksamkeit, die für alle Zeiten an dies illustre Treffen erinnern soll.

Eines bleibt mir zum Schluss noch zu erwähnen: Bei den besagten groben Umbau- und Renovierungsarbeiten wurde in der verborgenen Bibliothek in einer verschlossenen Holzkiste, gebettet in rotem Samt, ein goldener Kelch gefunden, aus dem einst Literaten wie Montesquieu Christián D´Ondrak, Graf von Wurst aus Preußen, der britische Lyriker Viscount Michael Roof-Drucker, Fürst Nowak, Baron Christian Weimann oder der ehemalige Stallbursche Markus, der sich Jahre später zum populären Dichter entwickelte, lieblich Wein getrunken hatten.

Die Legende erzählt, dass dieser Kelch einst von niemand geringerem als dem Schmied Ferdinand von Krachmann aus den verborgenen Goldreserven des Waldviertels geschmiedet worden war. Bauchiger Boden, nach oben hin dünner werdender Hals mit leichter Wölbung.

Die Legende erzählt ferner, wer aus diesem Kelch trinke, der stehe in ­geistiger Verbundenheit mit den großen Dichtern und Denkern jener Zeit, und dem bleibe die Sicht auf die Dinge an sich nie verwehrt.

- Ende der Niederschrift -