Das Ding an sich

Bernhard Schausberger

Die Welt an sich ist durchgeknallt, aber das Ding an sich ist immer das Nächstliegende.
Konfusius im Hort der Schweine, etwa 2000 nach PG

Zur Untermauerung dieser Universaltheorie eine kurze Betrachtung:

Er lag am Sofa und rollte über die Flash News auf seinem G-Phone. Ruhig ließ er die wesentlichen Geschehnisse an sich vorüberziehen. Seit der bahnbrechenden Erkenntnis zum Theorem der Makroökonomischen Balance in der Apokalypse waren die Dinge endlich ins Lot gekommen: brennende Ölquellen in Lybien wurden zuverlässig durch Hurrikans und Sintfluten gelöscht, der Hunger in Afrika wurde durch das Übergewicht in Europa, Nordamerika und China ausgeglichen und der Globale Bevölkerungsmaßindex hatte sich bei beruhigenden 1,5 eingependelt, abnehmende Radioaktivität im Waldviertel wurde durch Nachbarschaftshilfe in Japan ausgeglichen und – die bescheidenen Fehltritte der Finanzwirtschaft wurden durch doppelte Schlagzahlen und halbe Rationen in der Realwirtschaft mehr als ausgeglichen. Bald hatte das Theorem die Börsen und schlussendlich auch die Politik überzeugt: künftig würden die – für das makroökonomische Gleichgewicht unerlässlichen – Kriege in Schurkenstaaten mit gezielten Investitionen einer globalen Planung unterzogen, um damit den notwendigen Wiederaufbau spekulativ berechenbar zu machen.

Doch jenseits dieses beschaulichen Bildes lauerte die Gefahr – laute Töne ließen die Alarmglocken in seinem Hirn schrillen: Eile war ge¬boten, um den Zusammenbruch zu verhindern. Wo war das Ding bloß?
Es konnte nicht allzu weit sein – doch verdammt, der seidene Faden drohte zu zerreißen. Filmriss. Der Bildschirm wurde schwarz, der Lebensnerv getroffen. Grabesstille im Raum, dingloses Entsetzen, nur mehr Notrufe möglich – diese erfolgen nicht, tot, aus.

Seine Überreste wurden nach wenigen Wochen geborgen. Das Ganze roch wie üblich entsetzlich. Ein Mitarbeiter der finalen Reinigungs¬firma sah das G-Phone unter der Hand des Toten – der Chef hatte nichts gesehen. Er nahm es an sich und steckte es ein. Doch wo war es? Wie üblich: das Ding war nicht gleich zu sehen. Mit routiniertem Blick fand er das Ladegerät unter dem Sofa. Zu Hause steckte er es an und nach zwei Stunden war der Akku wieder vollständig geladen.

Post Scriptum:
Eine repräsentative Befragung (N=2) zum Thema im Kontext kam zu folgendem Ergebnis: nur das Eine ist das Ding an sich (damit wird gleichsam eine Gegenposition zur Universaltheorie aufgebaut).

Es war eine eiskalte Winternacht, der Schnee knirschte unter seinen Füßen. Die Kälte, die Stille, das weiße Licht – alles war erstarrt. Doch der Druck war da und bald würde der Moment der Entscheidung kommen. Es war für ihn zur Routine geworden – Gluthitze, eisige Kälte – entscheidend waren Ziel und Perfektion, Vollendung in der Handlung eben. Kein Laut war zu hören, doch er wusste: nur Amateure lassen sich zu voreiligen Taten hinreißen: die genaue Beobachtung von Relief, Wind und Temperatur waren entscheidend. Mit dem Ding konnte man zwar nicht töten, aber doch entscheidende Spuren im Leben Anderer hinterlassen.

Jetzt – es war soweit. Seine Hand zuckte, der Schlitten fegte über die Zähne und er nahm es heraus. Das Ding an sich glänzte matt im Mondlicht. Wie die Lava im Vulkan bahnte sich die heiße Ladung den Weg ins Freie. Ein glühender Strahl ließ den Schnee schmelzen. Jetzt bloß keinen Fehler, keine voreilige Handlung – langes Zögern im eisigen Wind konnte das Ding zerstören. Die Hand nahm es wieder an sich, der Schlitten fegte abermals über die Zähne: es war vollbracht. Zurück blieb ein rauchender, dunkler Fleck im Schnee.


Literaturnachweise:
Balance in der Apokalypse – Anleitung zum Überleben im 21. Jahrhundert, Herausgeber: Goldman-Sachs mit freundlicher Untersützung von Attac, London-Kabul 2011.
Der Schneebrunzer – Heiteres und Hintergründiges aus Österreich, W.M. Faylegger, Verlag Krone, Bund & Achtel, Grinzing 2011.