DAS DING AN SICH

Christian Weimann

Die wenigen, zwar nicht gelungenen, dem Publikum jedoch scheinbar bekömmlichen Pointen meiner bisherigen, längst gnädigem Vergessen anheim gefallenen Beiträgen zur Waldviertler Weltliteratur basierten ausschließlich auf einer gewissen Schlüpfrigkeit, um nicht zu sagen Verderbtheit. Ich bedaure dies zutiefst, weise jedoch jede Verantwortung für diese Misere weit von mir. Die vorgegebenen Themen erzwangen dies und ließen keine andere Wahl.

Uns so durchströmt mich nun ein Gefühl der Glückseligkeit, „das Ding an sich“ einer genauen Betrachtung zu unterziehen. Eine Aufgabenstellung dieser tiefen philosophischen Reinheit verbietet jedes Abgleiten in unreines Gedankengut. Aus der Sicht des modernen und gebildeten Mannes – ausschließlich aus dieser ist mir ein Zugang möglich – bleibt kein Raum für Zweideutigkeiten. Dieses Thema ist völlig eindeutig.

Das Ding an sich bestimmt das Leben jedes Mannes – so er denn ein solcher, und zwar ein richtiger, ist. Schon früh im Leben wird beobachtet und verglichen. Mag anfangs noch kindliche Freude und Unbefangenheit Konflikten vorbeugen, gewinnt im Laufe der Reifung die Frage, wessen Ding größer und stärker sei, an sich an Bedeutung. Hat man(n) erst gelernt, es zu verwenden und sich und andere damit zu erfreuen, so erblüht im Freundeskreis eine Prahlerei über damit vollbrachte Leistungen, die jedem Jägerlatein spottet.

Ungerecht wär’s allerdings, dies jungen Männern an sich zum Vorwurf zu machen. Die selbst erlebte Geschichte lehrt sie, ein leistungsfähiges, im direkten Vergleich bestehendes Ding zu haben, erleichtert es enorm, die Gunst der Holden zu erringen. Überhaupt stellt die gelegentlich in politisch korrekten Artikel geäußerte Behauptung, auch ein kleines, schwaches Ding würde bei geschickter Anwendung einem großen starken nicht nachstehen, eine glatte Lüge dar, und dies nicht bloß semantisch.

Das Ding an sich ist sohin Grundlage seines Selbstbewusstseins und somit auch seines erotischen Erfolges. So verwundert’s nicht weiter, dass der moderne Mann dessen Bedeutung entsprechend sein Ding pflegt und hegt und ihm erheblichen Stellenwert in seinem Leben beimisst. Oft – und dies ist unzweifelhaft wahr – bedient er’s selbst. Dies mag zuweilen einem unberechtigtem Misstrauen vor Fehlanwendung entspringen, ist meist jedoch der Tatsache geschuldet, dass man(n) allein ist. Hinzu kommt, dass ohne verlangte Rücksichtnahme und Diskussionen das Ziel doch schneller erreicht wird. Eine geradezu grundsätzliche Bedeutung kommt dem Ding an sich im Eheleben zu. Lässt man(n) auch die eigenen Frau daran? Will sie überhaupt (oder schwärmt sie heimlich für das des Nachbarn)? Glücklich der, dessen Weib damit fachkundig umgeht, sein Ding lobt, pflegt und und so souverän benutzt, dass man(n) dabei sogar ein Nickerchen halten könnte. Arm jedoch der, dem die Selbstbe…dienung der einzig richtige Weg erscheint. Hat er denn einmal genossen, wie auch sein Ding unter fachkundiger Hand an Leistungsfähigkeit gewinnt, etwa gar professionell geführt, so mag es ihn zwar bekümmern, dass er dies so nicht selbst zuwege bringt – der Stolz auf das Ding an sich wird doch gleich dem Wunsch, andere in Hinkunft an dieser Freude öfter teilhaben zu lassen, anschwellen.

Wenngleich das Studium der Lebensläufe und Schriften Kant’s und ¬Schopenhauers generell erkennen lässt, das keiner der beiden – obgleich beide das Problem ausführlich behandelten – das Ding an sich verstand oder verstehen, geschweige denn erklären konnte, so lieferte doch ein jeder dieser durchaus in gewissen Kreisen nicht als gänzlich unbedeutend betrachteten Philosophen eine interessante Definition – wohl zufällig und unbedacht, zumal die zeit für wahre Erkenntnis noch nicht reif war. Kant etwa postuliert::

„Was die Dinge an sich sein mögen, weiß ich nicht und brauch ich nicht zu wissen, weil mir doch niemals ein Ding anders als in der Erscheinung vorkommen kann“

Welche Erscheinung Kant tatsächlich hatte, ist nicht überliefert.

Schopenhauer erwidert hiezu, wenn’s bei Kant eine Erscheinung wäre, so sei’s ihm Wille. Allein der Gedanke, die Betrachtung des Dings könnte durch bloßen Willen oder Wunsch die Wahrnehmung desselben ver¬ändern und selbst das kleinste und schwächste mit der Kraft des großen und starken erscheinen lassen, sagt mehr über die Weiblichkeit Schopenhauers als über den objektiven Erkenntniswert seiner Theorie.

Folglich wenden wir uns von Scheinproblemen ab und der schlichten Wirklichkeit zu, die besagt: Der Mann liebt sein Ding, solange es funktioniert. Verzweiflung hingegen ist unvermeidbar, wenn’s versagt. Derartiges passiert nun meist, wenn’s grad so wichtig gebraucht wär’ und jemand anderer mit mehr Standfestigkeit gerechnet hätte. Wenn kein Rütteln und Schütteln mehr hilft und ausgewiesene Experten das Ding nicht mehr zum Leben erwecken können – so stirbt oft auch der Mann im Mann.

Aber warum ist das mit dem Ding an sich so? Ein Blick in Wikipedia lehrt den Ungebildeten, „an sich“ lateinisch mit „per se“ zu übersetzen. Das hilft nicht weiter. Altgriechisch nennt man dies „KATH’AUTO“: die Bedeutung von kath ist im christkatholischen Abendland nicht weiter zu erläutern, einfach allumfassend. Ebenso der Begriff „Auto“, verständlich heute jedem von frühester Kindheit an. Wenn auch die großen, alten, klugen – und schon damals regelmäßig überschuldeten – Griechen nicht erahnen konnten, welche Bedeutung das Wort „AUTO“ nun in unserem Sprachgebrauch wohl vornehmlich genießt: das Ding an sich ist das Auto und dies ist für die Männlichkeit des Mannes ist schlichtweg uner¬messlich, eben „kath“. Die Möglichkeit, durch technisches Gerät an Kraft und Stärke sowie scheinbarer Überlegenheit zu gewinnen, ist eben zu verlockend. Und wer meint, auf Größe und Stärke käme es den süßen Mädels nicht an, der versuche mit einem Dacia Logan einen Konkurrenten im Jaguar auszustechen.

Wenn schon dieses leicht durchschaubare Thema über das Auto offenbar nur technisch trockene Beiträge in jugendfreier Diktion bewirken sollte und mir bis hierher keinerlei Zweideutigkeit ermöglichte, so kann ich doch nicht widerstehen, eine kleine Unanständigkeit zu erwähnen: Ein Auto kann ein Phallussymbol komplexbeladener männlicher Seelen¬krüppel sein – ich kenne solche (eigentlich alle diese Unsympathler, die meinen, ein größeres, stärkeres oder zuverlässigeres Ding als ich zu haben).