Das alte Lied der Taiga

Christian Weimann

In jungen Jahren war ich beseelt davon, schick und cool sein. Der vom Vater ererbte Opel Rekord bot zwar reichlich Platz für soziale Annäherungen, war jedoch schlichtweg nicht sexy – so sah dies auch meine Damalige. Mangels Existenz des Begriffes SUV musste es ein Geländewagen sein, die Preislisten auch des Gebrauchtwagenmarktes ließen uns rasch von Gedanken an Range Rover, Jeep, Puch G etc. Abstand nehmen. Die Suche nach Alternativen gestaltete sich mühsam, auch die Aufgabe dieses Plans lag bald nahe. Das Schicksal wollte uns jedoch strafen, indem es unseren Wunsch in Form einer vier Jahre alten Lada Niva – bei uns genannt Lada Taiga - erfüllte.

Das Angebot klang verlockend, 73.000,00 Schilling klang selbst im Juni 1984 günstig für ein erstaunlich wenig gefahrenes Auto (warum, konnte ich damals nicht ahnen), das außerordentlich hübsch präsentiert wurde und unserem Anspruch nach juvenil sportlichem Auftreten vollauf genügend erschien. Überdies ließ der Besitz eines russischen Autos doch die Hoffnung auf intellektuelles Image durch Unterstützung des real existierenden Sozialismus in uns aufkeimen.

Bei Übergabe  erklärte der Verkäufer allerlei und warnte vor den starken Gasdruckfedern der Heckklappe. Wir hörten nicht weiter zu, wunderten uns über sein rasches Verschwinden nach Geldübergabe und fuhren fast direkt nach Hause.

Eine kurze Unterbrechung der Heimfahrt ergab sich zwangsläufig nach wenigen Kilometern. Der Zusammenbruch der elektrischen Anlage hatte sich durch von uns nicht weiter beachteten leichten Geruch nach faulen Eiern vorangekündigt, als – wie uns später vom Pannendienst erklärt wurde – die Batterie infolge eines schadhaften Reglers bereits kochte. Nun denn, der Austausch des Teils samt Batterie war rasch erledigt, wir kämpften weiter um Erhalt unserer Euphorie ob des schönen neuen Wagens und waren partout nicht bereit, uns hiebei durch die schnöde Wirklichkeit stören zu lassen.

Endlich daheim, ließ ich etwas ungeduldig die Heckklappe aufschwingen, was dank der Kraft der Gasdruckfedern sofort mit einem Abreißen derselben von der Karosserie belohnt wurde.

Das Anschweißen der doppelt gerissenen Verbindung war am nächsten Vormittag in der Tankstelle meines Vertrauens rasch erledigt, sodass ich mich mit einigen Stunden im Schwimmbad zu belohnen beabsichtigte. Kaum 10 Minuten in der Sonne, wurde ich per Lautsprecher zu meiner immer noch neugeliebten Lada Taiga beordert, nicht etwa, weil der Wagen allgemeine Bewunderung genoss, sondern um etwas gegen das maßlose Austreten von Benzin aus dem vollen Tank zu unternehmen. Wer konnte ahnen, dass ein russisches Auto nicht in der Sonne stehen darf?

Nach einiger Fahrt war dieses Problem gelöst, ich fuhr nach Hause, nicht ohne vorherigem Stopp beim ÖAMTC zwecks Behebung einer kleinen Funktionsstörung beim Blinker.

Zwei Tage später – wir hatten einen ausgiebigen Griechenlandurlaub mit Wohnwagen geplant – galt es, eine Anhängekupplung zu montieren. Der Anblick des verdutzten Mechanikers, der schwungvoll die Heckklappe aufschwingen ließ, beim nachfolgend notwendigen erneuten Anschweißen  der Gasdruckfedern war fast schon amüsant.

Die Fahrt nach Griechenland selbst verlief weitgehend pannenfrei – sieht man davon ab, dass nach einigen hundert Kilometern Autoput in Jugoslawien (so hieß das damals) die Beifahrertür plötzlich nur mehr von außen geöffnet werden konnte. Dies schien erträglich, meine Damalige genoss es durchaus, dass die Türe wie zu Beginn unserer Beziehung kavaliermäßig von außen geöffnet wurde. Als störender erwies sich, dass das Fenster der Fahrertür in die Türe hineinfiel und dort stur verblieb. Mit etwas Klebeband und Plastik konnten wir unter entsprechender Lärmerhöhung weiterfahren.

Endlich in auf Sithonia am Campingplatz angekommen, hatte es meine Damalige doch etwas eilig, den Kofferraum zu öffnen. Das Anschweißen der prompt ausgerissenen Gasdruckfedern erfolgte tags darauf in einer reizenden kleinen Werkstatt zu sensationell günstigem Preis, was mich bewog, den Wagen auch zwei Tage später dorthin schleppen zu lassen, nachdem beim Versuch eines Ausflugs der Keilriemen gerissen war. Die Kosten waren immerhin gering, das Problem des in der Fahrertüre  verschwundenen Fensters wurde ebenfalls gelöst und ich begann, griechische Werkstätten zu lieben.

Eine Woche blieb der Urlaub sodann störungsfrei, da wir  den Platz nicht verließen. Danach galt es allerdings, Mutter und Cousine meiner Damaligen vom Flugplatz in Saloniki abzuholen, was vorerst auch zu gelingen schien. Erst auf der Rückfahrt kollabierte die Lichtmaschine. Wir waren kaum noch 50 Kilometer vom Campingplatz entfernt und genossen bereits nach dreistündigem Warten bei 40 Grad im nicht vorhandenem Schatten die aufopfernde Unterstützung eines Pannendienstfahrers. Dieser schleppte unser Auto  in den nächsten Ort zu einer Werkstatt. Es war 15.00 Uhr und Sonntag.

Tags darauf war die durchaus passende Lichtmaschine aus dem Fiat eines Mechanikers eingebaut, die Reparaturkosten lagen deutlich unter den Taxispesen.

Mutter und Cousine meiner Damaligen verzichteten eine Woche später dankend darauf, von uns zum Flughafen gebracht zu werden und zogen unerklärlicherweise eine teure Taxifahrt nach Saloniki vor. Dies gab uns Gelegenheit, zu einer von Campingnachbarn empfohlenen, über kaum befestigte Wege nur mit Geländewagen erreichbaren, angeblich ebenso wunderschönen wie einsamen Badebucht zu fahren. Der Weg war leicht gefunden, ich ließ meinen Fahrkünsten freien Lauf, unsere Lada Taiga sprang durchs Geläuf, es war ein Hochgenuss. Die Vorfreude auf ein romantisches Badeabenteuer trieb mich voran, ich schien mir jung, schick, etwas intellektuell und äußerst schneidig, bis die Radaufhängung brach.

Es waren nur etwa drei Kilometer zurück zur Hauptstraße, bereits eine weitere halbe Stunde später hielt ein Wagen an, der uns zur Werkstätte  brachte. Abholung und Reparatur unserer Lada war für diese ein Kinderspiel und nach bereits einer Woche zu unserer Zufriedenheit erledigt. Überflüssig ist’s, zu erwähnen, dass die kaputten Teile vor unseren Augen in den Kofferraum gelegt wurden und die hiebei prompt ausgerissenen Gasdruckfedern gleich wieder angeschweißt wurden.

Die Heimfahrt nach Österreich gestaltete sich weitgehend problemfrei. Der kleine Massefehler, der zu starker Reduktion der Lichtausbeute der Scheinwerfer führte, konnte durch ausschließliche Fahrt bei Tageslicht umgangen werden und wurde nach Rückkehr in Wien in einem mit dem notwendig gewordenen Tausch der Zylinderkopfdichtung behoben. Zu meiner Überraschung funktionierten danach auch die Blinker wieder.

Der Herbst begann mangels notwendiger Autofahrten durchaus harmonisch, ich fand Muße, die zwischenzeitig herabgefallenen Plastikteile (sogut wie alle Abdeckungen, diverse Knöpfe etc) wieder zu befestigen. Die Gasdruckfedern mussten in diesem Zusammenhang nur ein einziges weiteres Mal angeschweißt werden, die Beifahrertür ließ drei Tage nach einem Werkstattbesuch erneut nicht öffnen.

Im November ließ sich ein größerer Sonntagsausflug nicht vermeiden, dieser verlief bis zur Rückfahrt sogar idyllisch. Wer allerdings schon einmal auf der vollbesetzten Westautobahn im Dunkeln an einem regnerischen Sonntagabend nach Wien gefahren ist, versteht, dass man sich zum Verkauf des Autos entschließt, wenn beim Überfahren einer kleinen Bodenwelle mit Tempo 130 plötzlich die Scheinwerfer ausgehen.

Der Verkauf selbst war rasch erledigt, es hatte geschneit und allradgetriebene Autos waren gefragt. Es traf einen steirischen Bauern, der von meinen Schilderungen der russischen Autobaukunst – bewusst robust – überzeugt war. Erstaunlicherweise konnte ich die Überstellung pannenfrei durchführen und nach Erhalt des Kaufpreises rasch entschwinden.

Zwei Wochen später spazierte ich am ersten Adventsamstag auf der Mariahilfer Straße, als ich den lieben steirischen Bauern, dieser nun stolzer Besitzer einer Lada Taiga, erblickte. Ich wollte auf ihn zustürzen, ihn weihnachtsfriedlich begrüßen und ihm zu seinem Erwerb neuerlich gratulieren, entschied mich jedoch, in dichter Menschenmenge unterzutauchen, als ich sein hochrotes Gesicht mit den zornig funkelnden Augen sah und sein wütendes Gebrüll, man möge mich festhalten, hörte. In russische Autos stieg ich nie wieder.