Das alte Lied der Tai Ga oder der Untergang eines traditionellen Kampfsportvereins

Victor Stehmann

Shumu Mashta, Anführer der geheimen japanischen Kampf- und Spionageorganisation Tai Ga nahm einen Schluck vom 20-jaehrigen Sake und atmete tief durch. Große Sorgen plagten sein Dasein diese Tage. Tenno Suizei, Nachfolger des legendären Tenno Simmo, hatte ein letztes Ultimatum gestellt. Die Leistung der Tai Ga waren in Frage gestellt und der ganze Verein stand vor dem Untergang. Seit Anfang an hatte die Tai Ga dem Tenno gute Dienste geleistet und in unzähligen Geheimaktionen gute Arbeit geleistet.

So war es zum Beispiel Shumus Getreuen gelungen, einen feigen Anschlag des chinesischen Kaisers auf Suizeis Lieblings Koi abzuwehren, indem sie den Karpfenteich einfroren und so jeglichen Zugriff auf die Tiere unterbinden konnten. Sie konnten zwar die chinesischen Geheimagenten stellen und ihrer gerechten Strafe zuführen, jedoch war der Plan die Goldfische aufzutauen und mittels Weihrauchbeatmung wieder zu beleben fehlgeschlagen.

Dies war nicht die einzige Aktion, die zwar primär recht erfolgreich war, aber doch ziemlichen Kollateralschaden hinterließ. So meinte der Tenno, dass es nicht wirklich notwendig gewesen wäre, halb Tokyo abzufackeln, um die Kamasoto Bande dingfest zu machen. Die Kamasoto Bande waren eigentlich zwölfjährige Zwillinge, die es gewagt hatten, vor dem Tenno auszuspucken. Um dieses Unrecht so schnell wie möglich zu bestrafen, brannten Tai Ga alles nieder was auch nur ansatzweise einem Versteck nahe kam.

Missgeschick um Missgeschick häufte sich in der letzten Zeit und so sah sich der Tenno gezwungen, die neuen Organisation der Nin Ja näher in Augenschein zu nehmen und deren Leistungen denen der Tai Ga gegenüberzustellen.

Nin Ja waren modern, schnell und effizient. Sie waren die moderne Version, quasi die Tarnkappenversion einer Kampf- und Spionagetruppe. Ihr Markenzeichen war unerwartetes Erscheinen und Zuschlagen. So beeindruckten sie jeden mit ihren Nebelbombenauftritten. Bumm, Nebelwolke, Zuschlagen und unheimlich schnell verschwinden. Das hinterließ immer wieder unvergessliche Momente bei den Zusehern.

Tai Ga konnte Ähnliches nicht vorweisen. Deren grell roten Uniformen waren nicht wirklich unauffällig und die zahlreichen glänzenden Metallapplikationen waren laut und glitzernden sogar im Dunklen noch, was ein lautloses Anschleichen ein bisschen erschwerte.

Nin Ja waren schwarz gekleidet. Punkt. Das war einfach State of the art. Tai Ga zelebrierte da eher das Schillernde, Auffällige, was für eine Geheimorganisation nicht wirklich zielführend war.

Tenno Suizei wollte die beiden Organisationen im direkten Vergleich beurteilen und eine Entscheidung treffen, wer die nächsten Jahrtausende den japanischen Tennos mit hinterlistigen und unentdeckten Anschlägen an der Macht halten sollte. Jede Organisation sollte das absolut Beste darbieten, was sie imstande waren zu leisten und nächsten Samstag, des Tennos Geburtstag, präsentieren.

Shumu hatte sein Führungsteam einberufen, um zu beratschlagen, was denn nun das Beste wäre, was sie anbieten konnten.

Fuku Gwandhama, Leiter der Kleiderkammer, bestand auf neuen Uniformen. Dotter gelb mit purpur Applikationen und neuen Silberglöckchen, die jede Bewegung des Kämpfers mystisch und spährenhaft untermalen sollten.

Nami Zupenkaspa, Organisationsküchenchef, präsentierte ein neues Rezept, was im Wesentlichen, eine Neukreation der allseits beliebten Reisweinbällchen waren. Die Sensation hier war, dass Nami auf Reiswein verzichtete und diesen durch geläutertes Schneckenwasser ersetzte.

Tonto Tamatanzen, Zeremonien- und Kampfsportleiter, versprach, die Vorschläge Fukus und Namis in einer nie zuvor gesehenen Kampfsportshow zu vereinen und Tai Ga als eindeutigen Sieger aus dem Vergleich mit den Nin Ja hervorgehen zu lassen. Er kündigte auch noch einen ganz speziellen Abschluss der Show an, wollte jedoch keine Details verraten, damit jeder die Überraschung genießen konnte.

Der große Tag war endlich gekommen. Im großen Prunksaal war der gesamte Hofstaat versammelt, um die Vorstellungen der beiden Geheimorganisationen anzusehen. Der Tenno würde eine Entscheidung treffen, welche der beiden Truppen in Zukunft die schmutzigen Geschäfte des Tennos dezent und würdevoll erledigen sollte. Eine größere Ehre konnte einem japanischem Verein dieser Tage nicht zu Teil werden.

Es begannen die Nin Ja mit einer beeindruckenden Vorstellung, wie man es von einer modernen Spionage- und Sabotagetruppe erwartete. Einzelne Kämpfer tauchten aus dem Nichts auf warfen mit diversen Gegenständen, wie Messern, zackigen Sternen und kleinen spitzen Spießen mit ungesehener Präzision. Kaum aufgetaucht und die Waffe im Ziel platziert, waren sie auch schon wieder verschwunden. So ging das 15 Minuten, als plötzliche Stille eintrat. Man konnte eine Nadel fallen hören, als unerwartet aus dem Nichts eine blaugraue Nebelwolke erschien. In dem sich verziehenden Nebel waren alle Nin Ja in einer kleinen menschlichen Pyramide gruppiert und verbeugten sich tief vor dem Tenno, bevor sie genau so lautlos und unbemerkt verschwanden, wie sie gekommen waren.

Das Publikum war begeistert und der Tenno applaudierte würdevoll. Wie konnten die Tai Ga diese Vorstellung überbieten? Alle waren auf das höchste Maß angespannt. Lauter werdendes Gemurmel füllte den Saal und alle Blicke waren auf den Tenno gerichtet als minutenlang Nichts passierte.

Plötzlich mit lautem Knall flogen die Türen an allen vier Seiten des Zeremoniensaales auf und unter lautem Zimbel- und Schalmeienklängen zogen die Tai Ga, angeführt von Shumu, Fuku, Nami und Tonto ein. Die dottergelben Uniformen mit all ihren Applikationen waren zwar für einen Kämpfer ungeeignet,
unterstrichen jedoch die tänzerischen Einlagen ganz prächtig. Tonto Tamatanzen hatte alles in eine noch nie dagewesene künstlerische Ausdruckstanzvorstellung investiert, die eine halbe Stunde dauerte. Der krönende Abschluss war das Überreichen der Schneckenwasserbällchen an den Tenno und seine Hofdamen.

Doch noch fehlte die von Tonto Tamatanzen angekündigte Überraschung. Was konnte die bereits gebotene Vorstellung noch übertreffen? Sprachlose, fragende Gesichter in den Führungsreihen der Tai Ga, als alle Kämpfer der Tai Ga in ein Lied  - eine Hymne – einstimmten.

Der Text aus dem Japanischen übersetzt lautet in etwa:

    Wir Tai Gas
    Haben Spaß
    Und beim Kämpfen
    Gemma Gas

Abgerundet wurde dieser Vortrag mit einem Refrain der frei übersetzt etwa wie folgt lautet:

    Zicke
    Zacke
    Zicke
    Zacke
    Hoi, Hoi, Hoi

Nachdem Tai Ga mit dem Absingen des Liedes fertig waren, trat betretenes Schweigen ein. Der Tenno erhob sich schweigend und verließ kopfschüttelnd den Raum. Natürlich gewannen die Nin Ja den Vergleichskampf und dienten den Tennos die nächsten zwei tausend Jahre.

Die Tai Ga verloren zwar, doch sind sie noch heute im modernen Japan mit ihrem Lied bekannt. Und wann immer jemand mit irgendetwas komplett daneben liegt oder absoluten Blödsinn verzapft, sagt man heute noch

"Da singt jemand das alte Lied der Tai Ga“