Kreisverkehrsphobie

Michael Drucker

Mein Einstieg in die Welt der Kraftfahrzeuge begann so etwa im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren. Ich war ein dicklicher Bub und unsportlich bis in den letzten Winkel meiner jugendlichen Seele. Am Fahrradfahren hatte ich nie wirklich Gefallen finden können und so kam es mir sehr gelegen, dass ein Onkel seine alte Puch 125 SV zum Alteisen erklärte und mir als Spielzeug überließ. Waren meine Wochenenden und Ferienzeiten, die ich doch zum einem nicht unbeträchtlichen Teil im Haus meiner Großeltern im Waldviertel verbrachte, bis zu diesem Zeitpunkt von einer geradezu unerträglichen Langeweile geprägt gewesen, so begann nun – getragen auf einer Welle von Euphorie – meine mobile Ära. Bitte folgen sie mir – aber bitte bleiben sie rechts und überholen sie nicht!

Wie sie, werter Leser, sich vielleicht schon gedacht haben, war wie aller, so auch mein Anfang kein Honiglecken, klaffte doch eine beträchtliche Lücke zwischen Wunsch und meiner technischen wie fahrerischen Realität. Wobei ich es wohl meinem damaligen, nicht vorhandenen Fahrvermögen zu verdanken habe, dass ich zu massiver Verbesserung meiner bastlerischen Fähigkeiten, ob der Fülle an fortwährend produzierten Sturzschäden, schlichtweg gezwungen war.

Meine Abschussliste an Objekten im Umkreis von ein paar Kilometern Feldwegen umfasste nach kurzer Zeit: Einen Maschendrahtzaun (ging so mit den Schmerzen), einen Brombeerbusch (ziemlich viel Schmerzen), ein Gemüsebeet (eher weniger Schmerzen, aber Donnerwetter), einen Misthaufen an einer Weggabelung (keine Schmerzen, aber….) und nicht zuletzt: meinen Vater (grobe Schmerzen, er sprach aber nie darüber)

Ich lernte  also so nach und nach nicht nur Fahren sondern im gleichen Aufwaschen die Kraftfahrzeug-Technik kennen. Und das von den Besten der Besten! Neben dem Schuppen nämlich, der meine geliebte Maschine beherbergte, befand sich eine kleine Bank und ein Tischchen, an dem mein Großvater und seinen Freunde bei trockenem Wetter mit Vorliebe und Regelmäßigkeit ihre täglichen Vierteln zu trinken pflegten. Meinem Schicksal ergeben, wenn mein Motorrad einmal nicht ansprang, folgte ich also den kompetenten Ratschlägen aus der Ecke der „Doppler“ Fraktion:„Kirzen putzen! Imma d‘ Kirzen putzen muast, Bui! Wonns ned auspringt,“ wurde ich gelehrt,“ donn is oiwei o‘gsoff‘n“.  So wurde ich also zum Fachmann ausgebildet, konnte bald ganz behände Zündkerzen herausschrauben, polieren, putzen, Elektrodenabstände verändern, Kerzen wieder hineinschrauben, nur um nach wiederholt gescheiterten Ankick-Versuchen die ganze Prozedur von neuem zu beginnen. Schlechthin – ich konnte einfach alles was mich meine kompetenten Lehrmeister zu lehren hatten. Und dieses über einige Jahre hart erworbene Wissen wendete ich nun bedingungslos an, egal ob ein Zusammenhang zwischen dem aufgetretenen Fehler und der Zündkerze zu erkennen war oder nicht. Und Dank der alten österreichischen Ingenieurskunst des Zweitakt-Motorenbaus war ich überraschender Weise auch in vielen Fällen damit erfolgreich.

Derart gewappnet und mit den wichtigsten Grundlagen der Technik ausgestattet wandte ich mich, nun sechzehnjährig und wieder in Wien, dem entscheidenden Kapitel meiner Mannwerdung zu: dem eigenen Moped. Da mir mein Vater jegliche Unterstützung in dieser Hinsicht verweigerte – ich denke nicht, das er die  kleine Banalität  damals im Waldviertel vergessen hatte, und mir daher nicht das nötige Vertrauen entgegenbrachte – war ich gezwungen zur Selbsthilfe zu greifen. Ich erstand um die Summe meines kompletten gesparten Taschengeldes (immerhin waren das 300 Schilling) eine komplett verrottete Puch MC 50 aus dem Keller des Cousins eines Schulfreundes. Dass sie nicht gleich ansprang verunsicherte mich nicht im Geringsten, mit der Marke und der Technik vertraut, wusste ich doch ohnehin, was zu tun war.  

Leider meine erste Fehleinschätzung, denn nach wochenlangem Kerzenputzen lief das Ding immer noch nicht. Ich war verzweifelt. Und wieder schickte mir der Himmel einen Freund der mir weiterhalf mich zu entwickeln. Und zwar in Person des damals bezirksbekannten Halbstarken Slatko. Der war ein einfacher Mensch mit simplen Regeln. Wen er mochte, der konnte faktisch alles von ihm haben. Wen er nicht mochte, dem brach er die Nase. Die Chance dafür lag in etwa bei fünfzig Prozent. Mir brach er nichts, dafür setzte er das Moped mit wenigen Handgriffen in Gang. Irgendwie mochte er mich scheinbar, diesen Bewunderer seiner handwerklichen Fähigkeiten.

In seiner südländisch geprägten Art und Einfachheit die Welt zu sehen nahm er es mit vielen Dingen nicht so genau. So zum Beispiel auch nicht mit dem Eigentum anderer Leute. Meinem entsetzten Blick, als ich ihm das erste Mal beim „Teile besorgen“ helfen sollte, erwiderte er nur mit einem Lächeln und dem lapidaren Satz: „Mach dir nicht Sorge, Moped gehört eh eine Freund, bringe ich morgen wieder andere Teil zurück, passt scho“. Ich aber zweifelte und machte mir doch Sorgen, besonders, da ich ja auch ein „Freund“ war und jetzt ein Moped hatte. Ich kontrollierte ab nun Morgen für Morgen ob etwas daran fehlte. Glücklicherweise war meine alte und vergammelte Puch offensichtlich nicht einmal mehr als Ersatzteilspender für Slatkos sonstige Kundschaft geeignet und blieb daher von ihm verschont.   

Jedenfalls beschloss ich daraufhin meine Lehrzeit bei ihm zu beenden und ging ihm so gut es ging und so freundlich wie möglich aus dem Weg, keinesfalls wollte ich doch auf die Seite der Leute wechseln, die er nicht mochte, dafür hatte ich meine Nase zu lieb gewonnen. Kurze Zeit später ereilte mich das Gerücht, jemand habe beobachtet, dass Slatko höchstpersönlich von zwei Funkstreifen von zu Hause in der Messerschmidgasse „im Achter“ abgeholt worden sei. Ich habe ihn seither nicht mehr gesehen und auch nichts mehr von ihm gehört und hatte endgültig meinen Lehrmeister verloren.

Falls Sie, werter Zuhörer, nun bereits zweifeln, ob ich mich dem gestellten Thema in diesem Werk noch einmal widmen werde, ich kann Sie beruhigen, ich werde mich demnächst annähern. Ich hielt es allerdings für unumgänglich Sie mit dem Ursprung meines handwerklich technischen Selbstbewusstsein vertraut zu machen, zumal es Ihnen mit diesem Wissen leichter fallen wird, folgende Ereignisse im richtigen Licht betrachten zu können.

Ich ging also zu dieser Zeit noch zur Schule. Es war noch eine ordentliche Schule reinen Geschlechts, nicht vom verlotterten Gedankengut der Ko-Edukation getrübt, was im Wesentlichen bedeutete, dass sich damals selbst mein erweiterter Freundeskreis größtenteils aus dem männlichen Geschlecht rekrutierte. Na ja, ein paar wenige Mädchen gab es ja doch. Zum Teil Schwestern oder Cousinen aber auch richtig echte „Freundinnen“. Aber auch die Schwestern und Cousinen waren bald Freundinnen von irgendjemandem. Und da das Haupt-Motto unserer Jugendjahre nicht unbedingt Stabilität lautete, ergab es sich, dass die Freundinnen häufig wechselten. Das entscheidende war aber, dass – mathematisch gesehen – die Grundmenge (sowie deren Elemente ) an Mädchen die gleiche blieb und zweitens auch immer die gleiche Gruppe an Freunden zum Zug kam. Nur war halt mal „der mit der“ und dann einige Zeit später mit „der anderen“ zusammen, wobei „die von vorher“ dann nachher mit dem „anderen von vorher“… ääh oder so ähnlich. Wir, die wir nicht am regen Treiben der Triebe teilhaben konnten, nannten die Anderen neidvoll eine „Inzucht-Partie“ und das was sie trieben den „Kreisverkehr“. Soweit mir bekannt, ist dieses Verhalten sozialwissenschaftlich noch völlig unerforscht. Daher erlauben Sie mir hier bitte als mögliche Erklärung eine Analogie zur Quantenphysik. Eine der Hürden bei der experimentellen Quantenphysik ist die Tatsache, dass ein Experiment ja beobachtet werden muss, um darüber eine Aussage treffen zu können. Für Beobachtung braucht man Licht, dass vom beobachten Teilchen reflektiert wird, um dann irgendwo auf der Netzhaut oder auf dem Elektronenrastermikroskop aufzutreffen. Wenn nun der Gegenstand der Betrachtung (das Teilchen also) um ein vielfaches kleiner ist als das kleinste Lichtteilchen, das Photon, so ist es offensichtlich, dass die Eigenschaften eines solchen kleinen Teilchens alleine durch das Reflektieren des Photons so massiv beeinflusst sind, dass man eigentlich nur Vermutungen darüber anstellen kann und keine Beobachtungen. Einige Physiker behaupten sogar, dass die Welt der Quanten überhaupt erst durch das Beobachten und nur im Moment der Beobachtung entsteht und ohne „Beobachter“ gar nicht existiert.  Ähnlich verhielt es sich wohl mit dem oben erwähnten „Kreisverkehr“. Er existierte nur in den Augen des Beobachters oder gar nur durch den Einfluss des Beobachters selbst.  Es schien mir, als ob die Teilnehmer am inneren Kreisverkehr alleine durch die Anwesenheit eines „Äußeren“, also dem Kreis der Beobachter, veranlasst waren ihr Verhalten dahingehend zu adaptieren, dass ein Vordringen zu ihnen nicht leicht möglich war. Wer am Futtertrog der Lust sitzt, will halt seinen Platz nicht freiwillig räumen.

In dieser Situation werden sie sicherlich verstehen, wenn jemand wie ich, aus dem Äußeren Kreis, jede sich bietende Gelegenheit ausnutzen wollte, die sich bat in den inneren Kreis vorzudringen. Und eine solche bot sich mir.

In den Zeiten meiner Jugend war, nach meinem Empfinden, eines der Dogmen der weiblichen Emanzipation das Vordringen in männliche Domänen und das Antizipieren männlicher Vorlieben und Verhaltensweisen. Anders als heute, wo doch eher von uns Männern das Annehmen der positiven, klassisch weiblichen Muster verlangt zu sein scheint. Ich unterlasse nun weitere Ausführungen, dieses heikle Thema betreffend, auch schon wieder, da es mir, als schreibendem Mann, unmöglich scheint, hier ohne massivem Tritt in ein oder mehrere Fettnäpfchen wieder herauszukommen, falls dies hiermit nicht  schon längst geschehen ist.

Annabelle, im Augenblick ungebunden, aus dem inneren Kreisverkehr hatte sich also entschlossen, es ihren männlichen Freunden gleich zu tun und sich ein Moped zugelegt.  Als dieses regelmäßig zu streiken begann, war das die Gelegenheit meine technischen Fähigkeiten, die ich im Waldviertel erworben und im Wiener Vorstadt-Pülcher Milieu erweitert hatte endlich einmal zweckdienlich einzusetzen.

Annabelle fragte mich sogar um Rat und Hilfe und so verabredeten wir uns also tags darauf bei ihr vor dem Haus. Die ganze Nacht davor lag ich wach und  träumte doch: von den Wonnen, die sie mir aus Dankbarkeit ob meines heldengleichen Tuns würde angedeihen lassen.  Von gemeinsamen Moped Reisen bis an die Grenzen des Kontinents – Ja,  von wahrer Liebe.

Doch bevor meine Träume wahr werden konnten galt es noch den Fehler zu finden, das Moped zu reparieren. „Was hat es denn genau für ein Problem?“ fragte ich sie, als wir uns endlich trafen. „Och, es geht nicht richtig…“ antwortete sie sachkundig. Ok, dadurch wurde die Aufgabe nicht leichter, aber zum Glück kannte ich ja das Allheilmittel und begann die Kerze zu putzen. Ich spürte ihre begehrenden Blicke auf meinem Rücken und hätte am liebsten alles hingeschmissen… Doch Halt! Jetzt nur nicht beirren lassen, der Fehler muss gefunden werden, sonst ist alles umsonst. Um im Gespräch zu bleiben belehrte ich sie über die Bauweise von Zweitaktmotoren und dass es ob deren Einfachheit sicher kein Problem darstellen könne den Fehler zu beheben. „Gehen wir nachher noch weg, gemeinsam?“  hauchte sie mir ins Ohr, so nah, das ich ihr Haar auf meiner Schulter spüren konnte. Ich war dabei, die Fassung zu verlieren. Um wieder Sicherheit zu gewinnen, begann ich hochkonzentriert ihr Moped in seine Bestandteile zu zerlegen, wie ich es von Slatko beim „Teile beschaffen“ gelernt hatte. Glücklicherweise fand ich dadurch wieder meine Ruhe und konnte mich auf das Wesentliche konzentrieren: den Fehler zu beheben, was ja aufgrund der unpräzisen Beschreibung nicht einfach war. „Wie lange dauert das denn noch?“ fragt sie mich nach einiger Zeit schweigenden Schraubens. Irgendwie kam mir ihre Stimme, von dort wo sie am Randstein saß und mir wortlos eine Weile zugesehen hatte, nicht mehr ganz so einladend vor.  Ich musste diesen Fehler rasch finden, sonst bin ich in ihren Augen ein Versager! Ich wurde umso emsiger in meinem Tun, um den Fisch nicht von der Angel zu lassen – so dachte ich zumindest. „Ich geh dann einmal vor, du kannst ja nachkommen wenn du willst“, entschied sie ziemlich abgekühlt und ohne mir eine Wahl gelassen zu haben, als ich begann den Getriebedeckel zu entfernen. Im Prinzip war mir das zwar nicht recht, ließ mir aber die Chance offen, das Problem dann endlich  rasch zu beheben, wenn ich durch ihre Präsenz nicht mehr so abgelenkt war.

Stunden nachdem Annabelle gegangen war und ich ihr Moped zweimal komplett zerlegt und wieder zusammengebaut hatte, es mich im nächtlichen Licht der Laternen zu frösteln begann, meine Knie und mein Rücken schmerzten, mich Hunger und Durst zu plagen begannen, stellte ich eindeutig fest:  DAS VERDAMMTE MOPED HATTE ÜBERHAUPT KEIN PROBLEM!

Dreckig wie ich war begab ich mich zu unserem Stammlokal um das perfide Weib zur Rede zu stellen. Ich war ehrlich sauer, wieso ließ sie mich da schrauben wie einen Besessenen. Was sollte das Ganze denn bedeuten?

Ich fand Annabelle am Schosse von Kurt, einem altgedienten Mitglied des inneren Kreisverkehrs, sitzend. Ihren Arm hatte sie um seinen Hals geschlungen um ihr augenblickliches Bedürfnis nach Nähe abzudecken. Kurt lächelte mich milde an, ihre Miene war eher ausdruckslos als sie mich endlich wahrnahm. Da war er also der schmale Grat zwischen himmlischen Freuden und grenzloser Erniedrigung. Eine verpasste Gelegenheit und alles war verloren.  „Dein Moped hat überhaupt kein Problem“ herrschte ich sie vorwurfsvoll an. „Na geh, wirklich?“ antwortete sie nur.
Aber für den Menschen, der wirklich Erkenntnis gewinnen will, ist ja der Beobachter Status auch nicht so schlecht, oder?

Also gut, schön und zugegeben, mein Psychotherapeut hat mir geraten mir die Geschichte von der Seele zu schreiben.  Seit damals habe ich nämlich Schwierigkeiten, die Vorrangregeln bei  der Einfahrt in Kreisverkehre zu akzeptieren. Besonders nach meinem heurigen Frankreich-Urlaub. Sie haben vielleicht schon gehört, dass Frankreich das Land mit den meisten Kreisverkehren weltweit ist. Rund 50% befinden sich laut Wikipedia ebendort. Meine Familie ängstigte sich also ob meines neurotischen Vorrangmissachtens halb zu Tode und empfahl mir nachdrücklich eine Therapie.

Dabei wäre die Welt doch so einfach. Ich erinnere mich an meine Fahrschulzeit. In der Fahrschule Gersthof des Herrn Edler galt noch rechts vor links. Und er lehrte uns auch das Grauen vor dem Kreisverkehr.  Er war ein archetypischer Chauvinist mit andauernd leicht verrutschtem Toupet, so wie er heute nicht mehr existieren könnte. Seiner Meinung nach hatten Frauen hinterm Steuer ohnehin nichts verloren, daher versuchte er seinen Teil zur Durchsetzung seines Weltbilds beizutragen, indem er versuchte speziell seine Schülerinnen derart zu verunsichern, dass diese ja nie den Führererschein schaffen würden. Heute glaub ich werden einige Psychotherapeuten noch gut von dem Leben, das der gemeine Fahrschulbesitzer an der nach Mobilität drängenden Damenwelt verbrochen hatte. Ich erinnere mich da an eine Szene… Aber hören sie selbst:

Wir nahmen gerade den Motor durch. „Und wia wiss ma waun da Motor z’haas is? bellte er eine Zwischenfrage in die Runde, dass alle erschreckt zu Boden blickten. „Du, da“. Er hatte seinen gefürchteten Killerblick aufgesetzt und zeigte mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf ein blasses, verschrecktes Mädchen in der ersten Reihe.  Während alle anderen durchatmeten, versuchte die arme Auserwählte ihre Stimme wiederzuerlangen, was ihr nicht gleich gelang. „Naaaaa“ motivierte der Edler sein Opfer,“ Wo kenn ma des sehn?“.  „Ah ahhh am Thermostat ?“ fiepte sie ihre Antwort, einfach unter Stress ein Wort wiederholend, das während des vorangegangenen Vortrags mehrfach gefallen war. Es klang weniger nach einer Antwort – fast ehr wie ein verzweifelte Frage. Diese Antwort ließ doch tatsächlich ein kurzes, überraschtes Zucken durch den Edler gehen, sein Toupet rutschte weitere zwei Grad nach links. Die Situation war dermaßen mit Spannung geladen, dass niemand, auch diejenigen die Antwort gewusst hätten, sich getrauten auch nur einen Mucks zu machen. In Wahrheit hatten wir Angst um – und Mitleid mit dem armen Mädchen, ob der unbeschreiblichen Dinge die kommen mussten. Edler genoss die Stille, ein leichtes Lächeln begann sich auf seinen Lippen abzuzeichnen, als Indiz dafür, dass ihm soeben etwas eingefallen war. Sogleich schoben sich seine Stirn und seine Backen zusammen, um seine Augen quasi ein Fernrohr bildend und er fixierte sein Opfer einer Schlange gleich, bereit für den tödlichen Biss. „Wia misst denn du Fieber?“ fragte er sie zu unser aller Überraschung fast milde, nur um gleich die Frage etwas zu verschärfen „Oral oder Rektal?“ An eine Antwort war in dieser Situation natürlich nicht zu denken, er wollte auch keine hören. Stattdessen ballte er zur Demonstration der Abmessungen eines Thermostats seine linke Faust und verwies mit der rechten Hand darauf. „Na wurscht, i hoff ned rektal, weu so an Thermostat tat i da sunst liebend gern amoi in Hintern schiabn!“ Die bemitleidenswerte Angesprochene war immer noch wie versteinert und vermutlich auch nachhaltig traumatisiert. Was mir aber heute leid tut: Alle lachten befreit über den „Witz“  und ich mit ihnen.

Die Vorrangregeln im Kreisverkehr kamen als nächstes an die
Reihe. „Wanns es Deppen amoi, so ob da zehnten Foahstund auf’m Gaußplatz foahrts, dann kennt‘s eich woam aunziagn wauns des ned im Bluat hobts!“ bereitet er uns in pädagogisch einwandfreier Manier auf unsere Praxis hinter dem Steuer vor.  Der Gaußplatz
galt laut dem Herrn Edler als die automobile Herausforderung schlechthin. Ein (damals noch) ungeregelter Kreisverkehr mit querender Straßenbahn.  

Der ungeregelte Zustand bereitete mir aber anfänglich keine Schwierigkeiten, da er ja dem Einfahrenden gegenüber dem im Kreisverkehr Befindlichen bevorrangt. Meine inzwischen in Behandlung befindliche Phobie entwickelte sich erst später, als es erstens Mode wurde überall hin Kreisverkehre zu bauen und zweitens diese auch noch mit „Vorrang geben!“ Schildern für den Einfahrenden zu versehen. Im Hinblick auf meine jugendlichen Erfahrungen bezüglich „Nicht-Eingelassen-Werden“  in den Kreisverkehr, werden Sie werter Zuhörer sicher verstehen, dass ich begann solche Verkehrsknoten zu meiden. Wann immer es mir nicht möglich war, begann sich in mir eine Stimme zu regen und drängte mich dazu ohne Rücksicht auf Verluste einzufahren. Und wenn ich einmal im Kreisverkehr angelangt war, so war es mir fast unmöglich diesen auch wieder zu verlassen. So kurvte ich oft Runde um Runde herum ohne eine Ausfahrt nehmen zu können.

Mein Therapeut ist aber guter Dinge und unterstützt mich mit all seinen Kräften, die Dinge wieder in den Griff zu bekommen.