The Lower Austrian Roundabout Movement

Wolfgang Pokieser

„So was hab´ in mein Lebn no net gsehn“ sagte der dickliche ältere Polizist und nippte an seiner Kaffeetasse „ des is a Wahnsinn“
Der Ableidinger schnaubte zustimmend und Natascha schüttelte wortlos den Kopf, sie hatte wie ein kleines Kind, vergessen den Mund zu schließen.

 „Als hätt a Bombm eingschlogn“ dramatisierte der dickliche ältere Polizist.
„Wieder so a deppata junga Komasäufer“ der Ableidinger hatte genug von den Jungen  „die nix hackln und deppat saufn. Wir ham a was trunkn, oba net so, also net so deppat“ Der Ableidinger war einer der wenigen verbliebenen Bauern im Ort.
Gerade wollte Natascha ihm ungefragt ein zweites Bier hinstellen, aber dann zögerte sie.
„Vielleicht waren es Drogen, da gibt’s so neue Sachen, da weiß man gar nicht wie sie wirken?“ warf sie verschwörerisch ein. Sie erinnerte sich an vorletzten Samstag im Elixier. Sie glaubte die Ohren zuckten unabhängig von ihr auf der Tanzfläche, und wollten offenbar den Rhythmus bestimmen. Nach einigen vergeblichen Versuchen tanzte sie ihren zuckenden Ohren nach, sie glaubte sie tanze auf Watte. Ziemlich abgefahren. Dabei war die Tablette halbiert. Die Conny, hatte gesagt: „Teil ma die Tablette, die ist vom Istvan, da geh´ ma auf numma sicha. Dann trifft´s uns nur halb, wenn er uns einen Dreck gegeben hat. Und wenn´s super ist hamma beide was davon. Na Gnade, wenn die Conny die ganze geschluckt hätte. Die war eh schon so narrisch nach der halben.“
„I sog ja, daß de Jungen heut deppat san“ schimpfte der Ableidinger wieder.
„Des war ka Junger“ sagte der dickliche ältere Polizist.

Dem Ableidinger und der Natascha blieb nun beiden der Mund offen.
„Oba“ sagte der Ableidinger na einer Weile etwas ungläubig
„Es woa aner aus Wean, 55 Joa.“ der Polizist schaute in seine Kaffeetasse
„A deppata Weaner, ana vo de Zweithäusler“ schimpfte der Ableidinger abermals „So a Alternativa, mit an bunten Haus …“
„Na es woa a Englischlehrer aus Wean den do ka Sau kennt“ unterbrach ihn der Polizist, der sich schon ein wenig vor der Reaktion des Ableidingers fürchtete.
„Der hat net amoi a Haus?“ Unfassbares tat sich für Ableidinger auf
„Eine Mietwohnung in Wien, zwei Kinder, vor kurzem geschieden“
„Na ebn“ sagt der Ableidinger etwas sinnlos triumphierend
„Wieso na ebn, da Berti dei Sohn is a auch gschiedn“
Jetzt hatte der Ableidinger genug, das Gespräch folgte nicht den Regeln die er kannte, er ging grußlos.
„Magst a wos trinken?“ fragte Natascha, denn sie dachte jetzt wo der ältere Polizist alleine an der Bar stand durfte er sich was gönnen. Sie lächelte ihn kokett an.
„An Zwetschkanen“ und der ältere Polizist erwiderte ihr Lächeln, ohne den grausamen Altersunterschied zu vergessen.

„Gesetze müssen respektiert werden“ sagte der strenge Richter zu Erwin Hoisner „ich verurteile sie wegen mutwilliger Sachbeschädigung bei vollkommener Zurechnungsfähigkeit zu einem Monat unbedingter und 4 Monaten bedingter Haft sowie einer Geldbuße von 50 000 Euro. Die Kosten zur Wiedererrichtung des, und der Richter schüttelte noch immer ein wenig fassunglos den Kopf, zur Wiedererrichtung des Kreisverkehrs werden ihnen ebenfalls zugeschrieben.“
Erwin Hoisner saß aufrecht und stolz, sein Blick war entschlossen in eine Welt gerichtet, die keiner mit ihm teilte. Er schien das harte Urteil nicht zu hören. Und er hörte auch nicht das kritische „So, so“ der Dame in der ersten Reihe im roten Kostüm und die langsam aufwallende Unruhe im Saal, in die sich schon erste Skandalrufe beimengten. Leise sprach Erwin Hoisner das Wort „destroy“ aus.
Selbst der Ordnungsruf des strengen Richters schallte über ihn hinweg, als wäre er gänzlich unbeteiligt.
Mittlerweile wurden die Ordnungsrufe des Richters immer hysterischer und sein „Ruhe oder ich lasse den Saal räumen“ klang schon ein wenig absurd, denn schon längst waren Polizisten bemüht die Prozessbesucher davon abzuhalten Gegenstände gegen den Richter zu werfen. Ein Polizist hatte die Dame im roten Kostüm fest im Griff, die ihrerseits wieder laut gegen die Polizeigewalt anschrie. Der Polizist fühlte sich im Recht, denn die Dame im roten Kostüm hatte zuvor den Richter in die Hand gebissen. Einige Prozessbesucher, mittlerweile durch die kollektive Verbitterung gegen jegliche Staatsräson parteiisch geworden, stürzten sich auf den Polizisten und fügten ihm behandlungswürdige Verletzungen zu. Warum artete ein Prozess gegen einen Lehrer und zweifachen Familienvater, der aus heiterem Himmel heraus mutwillig einen Kreisverkehr im Waldviertel zerstörte, so aus? Was wollte der nachweislich nicht alkoholisierte Mann, dem sogar der psychiatrische Gerichtsgutachter, eine für Lehrer durchaus übliche Intelligenz bescheinigte, bewirken?
Erwin Hoisner erklärte seine Tat nur mit einem Satz: „Ich wollte ein Zeichen gegen Regulierungswahn und den Reglementierungswahn setzen, und …ich bereue nichts.“
Seither überschlugen sich die Medien mit Spekulationen über diesen außergewöhnlichen Fall.

Die Zeitung Österreich brachte zwar als erste erschütternde Bilder des zerstörten Kreisverkehrs mit umgepflügter Raseninsel und dem auf dem Dach liegenden blitzblauen Grand Cherokee, irrte sich aber bei der Beschreibung des Täters. Ein farbiger Asylant war Erwin Hoisner nicht.

Die Kronenzeitung exhumierte den Leserbriefschreiber Cicero der nach Abwiegen der Pros und Cons für die Todesstrafe plädierte. Um die Meinungsvielfalt des Blattes zu dokumentieren mutmaßte ein pensionierter praktischer Arzt eine Geisteskrankheit, die durch einen ehemaligen Studienkollegen Hoisners untermauert wurde. Dieser berichtete von gemeinsamen Ausflügen während der Studienzeit und Magic Mushroom-Experimenten, die möglicherweise nicht ohne organische Folgeschäden verlaufen waren.


Der Standard druckte eine Analyse von Konrad Paul Lissmann über Regulierungswahn und Kirkegaard. Ein austro- kanadischer Milliadär wurde von den Medien nicht mehr beachtet und ließ sich deshalb, nur mehr mit einem Penisköcher bekleidet bei einem Interview ablichten, während sein plastischer Chirurg Visitenkarten verteilte. Kurz darauf erreichte auch der Chef einer rechtsnationalen Partei mit ähnlichem Acessoire aus Neuguinea auf Facebook über 13 000 „gefällt-mir“ Klicks.
Die skurrilen Auswüchse des österreichischen Mikrokosmos sollten nicht das gewaltige internationale Echo schmälern, welches durch Erwin Hoisner als subversives Element ausgelöst wurde.

Eine NGO vegetarischer Mullahs feierte demonstrativ mit einer Abordnung orthodoxer Juden in Rom eine Orgie um ein ausgerissenes italienisches Kreisverkehrszeichen in unmittelbarer Nähe des Trevibrunnens. In diesem zeigte die nackte Ursula Andress einen Schlangentanz.

Versplitterte Gruppen antiklerikaler Farmer in Utah, Oklahoma, Tennessee und Montana riefen autonome Republiken ohne Kreisverkehrsschilder und ohne Waffen aus. In CNN erklärte Präsident Obama, wie immer rhetorisch brilliant klar und doch gemäßigt, ein Einsatz von Bodentruppen auf staatseigenem Gebiet wird nur, und ausnahmslos nur mit Billigung des Kongresses stattfinden. Bereits eine Stunde später ergänzte Außenminister Kerry jedoch der Präsident behält sich natürlich das Recht vor, gezielte Drohneneinsätze gegen die antiklerikalen Farmer durchzuführen. Kerry entschuldigte sich im voraus für etwaige Kollateralschäden.

La Voce de Catalunya schrieb sentimental: „Buenaventura Durruti vive! Und stellte die naheliegende Frage «Porque en Austria»?“

Der Guardian titelte: “The Lower Austrian Roundabout Movement” und schrieb weiter “Nowadays Great Britain is confronted with sympathisers of the Lower Austrian Roundabout Movement. In many cities road signs, especially those indicating roundabouts, have been damaged. “There is a lot of confusion about this sort of anti-social behaviour because the typical person involved in these activities is a well-educated middle aged citizen.” an English police officer told us recently” These people strongly disagree with regulation and authoritarian government and frankly, who does not?” he added
In Russland wurde zur aus allen Transitorradios dröhnenden Hymne von Pussy Riot ein neuer Sport als Volksbelustigung ins Leben gerufen. „Capta Kappa Polizia“ Ein mit Fang den Hut übersetztes Spiel zielte darauf ab den typischerweise grimmig dreinschauenden Kremlwächtern die Pelzmützen zu entreißen. Anschließend wurden die Pelzmützen auch Kappa genannt in der Menschmenge durch weite Würfe vor den wütenden Kremlwächtern in Sicherheit gebracht.

Und sogar in Österreich dem Ursprungsland der Erhebungen, dessen Revulotionen meistens durch dekadentes Geraunze abgelöst werden, wollten die Unruhen nicht enden. Eine Gruppe anarchistischer bregenzer Lehrer schützte als Menschenmauer Schüler, die mit rosa Graffities das Denkmal eines ehemaligen vorarlberger Freiheitskämpfers verschönten.  In St. Pölten wurde der Landeshauptmann von einem Mob gelyncht und auf einem Kreisverkehr drapiert. „Silence for the other Erwin“ sagte Erwin Hoisner seinem verwirrten Zellenkollegen in der Untersuchungshaft, als er die Radiomeldung hörte.
Ja, man hatte den Eindruck, je repressiver der Staat gegen die nach Freiheit drängenden Bürger auftrat, desto erbitterter und grausamer wurde der Widerstand.
No Pasaran! Auch der weltweite Absatz von Che Guevara T-Shirts stieg, als Zeichen der Aufmüpfigkeit der Menschenherde, wieder erheblich an. Anarchie und Österreich.

In Österreich wurde Erwin Hoisner mit Hilfe eines neuerlichen psychiatrischen Gutachtens letztendlich doch für geisteskrank erklärt.
Der Kreisverkehr im Waldviertel wurde wiedererrichtet, das Gras auf der Verkehrsinsel neu gesät. Die Staatsführung vermittelte durch eine beruhigende Rede des Bundespräsidenten Ruhe und Besonnenheit.
Dennoch, man konnte sich des Gefühls nicht erwehren, es bewegt sich wieder etwas auf dieser Welt.
Und so selten es auch vorkommt, diesmal begann es in Niederösterreich.