Jurystimmen

Dr. Horst Christoph, Dr. Elmar Schübl, Daniel Ranner

Krachmann 2014

Zehn Jahre Krachmann-Preis, auch für die Jury ein Anlass, Bilanz zu ziehen. Wie hat sich der Preis verändert/entwickelt, was stellt er heute dar?

Stefan Wurst hat seinen heurigen Beitrag als – wie könnte es bei ihm anders sein – kritische Erinnerungsarbeit verstanden: Wie war das mit den gestellten Themen? Vor welche möglichen und unmöglichen Aufgaben haben sie Jahr für Jahr auch die Juroren gestellt, die, in Anorak, Schal und Mütze gehüllt, hastig und zähneklappernd die zu spät eingereichten und nicht selten überlangen Beiträge mit überflüssigen Randbemerkungen wie „Lauwarm“ oder „Schleim“ versehen mussten, während der Rest der Party sich mit den köstlichsten Grillereien voll stopfen durfte.

Dann endlich der erlösende Ruf in die blubbernde Wärme der loichtenden Lesestube. Der Einfluss edler weißer wie roter Tropfen auf die Entscheidungen der Juroren kann nicht genug betont werden.

Was in den zehn Jahren des Krachmann-Preises zu hören war, umfasst alle Gattungen und Genres der Literatur, vom Kurzgedicht über das Dramolett bis zum wissenschaftlichen Essay. Dem „Geist großer österreichischer Erzähltradition“ verpflichtet erwies sich stets zuvorderst Stefan Wurst, sowohl als Spracherfinder, der aus dem Substantiv „Taiga“ das Verbum „taigazzn“ zu kreieren wusste, als auch als Wahrer korrekter Sprache, wenn er das zum „Nichtsdestotrotz“ verkommene „Nichtsdestoweniger“ einfordert. Der Juror, der die Verballhornung als Konsequenz der launigen Lateinschüler-Erfindung „Nihilotrotzquamdoweniger“ erkannte, wusste das zu schätzen.

Ohne in dieser kurzen Würdigung der Fülle der literarischen Kostbarkeiten der KMP-Beiträge auch nur annähernd gerecht zu werden, sei auf einige wenige hingewiesen. Da wurden literarische Figuren erschaffen wie „Beckmann“ und „Moische Frömmlich“ (Victor Stehmann) oder “Rollo Sonnenblend“ (Stefan Loicht). Victor Stehmann und Michael Drucker belebten surrealistische Traditionen. Günter Nowak, anfänglich mit ironischen Texten begeisternd, steigerte sich zu autobiographischer Realistik. „Würzige Kürze“ durfte die Jury wiederholt Markus Spiegelfeld bescheinigen.

Dass er nicht nur als Erfinder und Gastgeber des KMP für dessen zehnjährige Geschichte steht, verdanken wir dem Rhapsoden und Doctus-privatus-Historiker Stefan Loicht, dem Entdecker des Weiberkreuzzugs, des Kärntner Kalifats von Kurutschnig und eines Flüchtlingsheims für transnistrische Dragqueens.

Ein Intermezzo, das wieder aufgenommen werden sollte, blieben die Krachfrauen. Sabina Loicht schuf, dabei Profi-Literaten wie Armin Thurnher, Thomas Glavinic oder Franzobel als Krachmänner verpflichtend, ein Gustostück der Konzeptdichtung.

In keinem Jahr stagnierte der KMP. Christian Ondrak und Andreas Gruber delektierten in Doppel-Autorenschaft mit einem zum Teil gesungenen Road Movie. Markus Steinbichler überraschte mit Schlager-Reminiszenzen und einem Ausflug ins Land der 1000 Hügel. Reinhard Mechtler wusste schon Jahre vor der Eröffnung des Wiener Hauptbahnhofs: „Alles Bahnhof“.

Neue Schauplätze wurden erobert, wie zuletzt „Sentivas Round“ von Bernhard Mitterer. Immer wieder meldeten sich auch zwischenzeitlich Verschollene der Anfangsjahre, so Harald Schmidt und Gregor Zentner. Und immer tauchten neue, brillante Schreiber und Vorleser auf – wie ab 2008 Christian Weimann, dem großen Kenner des österreichischen Wesens und Meister des Ironie-Manierismus.

Wo also steht der KMP in seinem Jubiläumsjahr? Auf keinen Fall bleibt er „stehen“. Das beweisen eindrucksvoll die heurigen Beiträge. Da zeigt Wolfgang Weissensteiner mit Fug und Recht den Unfug unserer TV- und Eventgesellschaft auf („Hinfort mit Dir!“) und heimst damit Platz 3 ein, gemeinsam mit Markus Spiegelfeld, der als kreativer Architekt und zugleich erfahrener Pädagoge eine bemerkenswerte Synthese schafft; Professor Spiegelfelds Text „Beton ... geliebt, gehasst und angewandelt“ ist eine Antwort auf Weissensteiners Beobachtungen und hat das Zeug, quasi als Krachmannsches Manifest gewagten, aber zukunftsweisenden pädagogischen Strömungen zu dienen.

Bernhard Schausberger
hat es sich wahrlich nicht leicht gemacht. Er hat recherchiert, geforscht, und er begründet, warum ihn sein Thema gefesselt hat: aus persönlichen und „personalgeschichtlichen“ Gründen. Sein Text bietet ein Stück Zeitgeschichte, was aber noch nicht Literatur wäre. Die Jury hat diskutiert, ob der Text „Marchegg 1973“ als Drehbuch geeignet wäre. Nein, das würde ihn „verdrehen“. Er gehört gelesen, gehört. Er ist ein würdiger zweiter Preis.

In gewisser Hinsicht hat uns Christian Ondrak, ein Mann der ersten KMP-Stunde, mit seiner Erzählung „Mein Hund liest Wittgenstein“ zu den surrealistischen Wurzeln des Krachmann-Preises zurückgeführt. Ondrak verstand es hervorragend, den Einbruch des Unerwarteten ins ganz normale Leben derart darzustellen, dass sich so mancher kurz die Frage stellte, ob operative Eingriffe ins Sexualleben unserer geschätzten Haustiere vielleicht doch ernsthafte Konsequenzen für das Herrchen/Frauchen haben könnten. Es freut die Jury sehr, dass sich Christian Ondrak, mit dieser psychoanalytischen Einsicht in die Welt des Surrealen, in die Reihe der Krachmann-Preisträger eingliedert hat. Wir gratulieren herzlich zum Krachmann-Preis 2014!

Aus der in wechselnder Besetzung seit zehn Jahren tätigen Jury verabschiedet sich heuer Horst Christoph. Dass der Krachmann-Preis weitergeht, beweist dessen Lebenskraft und Lebensberechtigung. Er ist der Beweis dafür, dass sich Menschen über ihre berufsbedingten Verpflichtungen hinaus freiwillig an etwas Unnützem, aber Lebenswichtigem erfreuen. Danke Stefan Loicht, danke allen Teilnehmern des Krachmann-Preises. – Und vielen Dank, lieber Horst, für die unvergesslichen Stunden, die wir mit Dir im anregenden Austausch über so manche literarische Kostbarkeit verbringen durften.