FREITAG

Christian Weimann

Gott war müde und erschöpft, den Sabbat hatte er sich redlich verdient. Eigentlich hätte er schon freitags, zumindest ab Mittag, ruhen wollen – und auch sollen –, doch irgendwie hatte ihn dann wohl der Teufel geritten. Leider Gottes – irgendwie dräute ihm, mit der Arbeit von Freitag nachmittags werde er noch einige Probleme zu lösen ­haben und dies wollte er sofort tun.

Eigentlich hatte alles doch gut begonnen. Ebenso wie seinen Engeln war ihm im Nichts einfach langweilig geworden; es gab nicht viel zu tun. Aus dieser Fadesse allerdings war unter den Engeln eine gewisse Unzufriedenheit entstanden – angefacht von Luzifer, der sich bereits rühmen konnte, eine Hölle erschaffen zu haben. Nun, seit Ewigkeiten hatte Gott keine Konkurrenz fürchten müssen, doch die Aussicht auf eine Hölle – vielleicht qualvoll, aber doch kurzweilig – ließ etliche der Engel in ihrer Treue schwanken. Also musste er etwas Besseres bieten und beschloss, eine Welt zu schaffen. Friedlich und wunderschön sollte sie werden, selbst erhaltend und erneuernd – intelligent design. Dies wäre wohl auch gelungen – hätte er bloß freitags geruht!

Sonntags – erster Tag – war alles recht in Ordnung. Das Urmeer hatte er geschaffen und Licht von Finsternis geschieden. Montag – zweiter Tag – war überhaupt entspannend, den Himmel zu errichten, galt bloß als Fingerübung. Dienstag – dritter Tag – galt es Meer von Erde zu trennen und Pflanzen wachsen zu lassen, am Mittwoch – vierter Tag – schuf er Sonne, Mond und Sterne. Die Welt erschien ihm zu diesem Zeitpunkt recht adrett, aber nicht vollkommen. Amüsiert beobachtete er, wie Vortags geschaffene Früchte unter der neu hinzugekommenen Sonne nicht nur reiften, sondern – wie er auf erste Kostprobe zugestehen musste – nach Gärungsprozessen herrliche Getränke absonderten. Besonders die Früchte der Weinrebe taten sich hiebei hervor, der hieraus gewonnene Saft mundete köstlich und brachte auch ihn in eine eigenartige, nie zuvor gekannte fröhliche Stimmung.

Donnerstag – fünfter Tag – sollte das Fehlende erledigt werden. Fische und sonstige Meerestiere waren ebenso wie die Vögel am Himmel bald gut gelungen, also fehlten bloß noch die Landtiere. Eigentlich wollte er auch diese noch erschaffen, aber der vergorene Traubensaft, den er diesmal etwas über Gebühr verkostet hatte, ergab eine gewisse Müdigkeit – so verschob er die restliche Arbeit auf morgen.

Endlich war Freitag – der sechste Tag! Zwar hätte die Welt schon an diesem Morgen perfekt sein sollen – die ersten Engel waren bereits zur Besichtigung neugierig erschienen – doch fand Gott Freude darin, nun auch Vieh, Gewürm und Wild zu erschaffen. Der wunderbare Saft der Weintrauben mundete ihm ebenso wie den Engeln köstlich, alle hatten Freude an den phantasievoll erschaffenen Tieren dieses Morgens.

Mittags war alles erledigt, eine perfekte Welt zur Unterhaltung und Freude all seiner Engel hatte Gott erschaffen. Selbstheilend, weder eine Pflanze noch ein Tier würde sich über Gebühr zu Lasten der anderen Arten ausbreiten können, für alle Ewigkeit war seine Schöpfung gemacht.

Nun, die Wochenarbeit war getan, der Freitag noch jung und es galt, das abgeschlossene Werk zu feiern. Da die Weinreben in Hülle und Fülle Früchte trugen und die Sonne ihren Teil der Gärungsarbeit bestens erledigte, stand nichts einer gediegenen Feier entgegen. Fröhlich kosteten alle Engel mit ihm mehr und mehr des herrlichen Getränks – alle, bis auf Luzifer.

Dieser zunehmend einzig Nüchterne in der Runde begann, das vollkommene Werk zu kritisieren, motzte unablässig an diesem und ­jenem, bis es den anderen zu viel wurde. „Was passt denn dir schon wieder nicht?“ ärgerten sich viele – nicht ohne weiter dem wunderbaren Saft zuzusprechen. Dennoch ließen sie sich von ihm in Unzufriedenheit führen und klagten:

„Nun, auch diese Welt ist langweilig – selbsterneuernd, ohne Gefahr der Zerstörung, ewiges Glück – was sollen wir Engel damit? Nur still beobachten? Langweilig, langweilig, langweilig!“

Das wollte Gott freilich nicht auf sich sitzen lassen. Die wunderbarste Welt mit abertausenden phantastischen Geschöpfen hatte er erschaffen – und dieser stimmungstötende Luzifer mit seiner uninteressanten Hölle gönnte ihm diesen Triumph nicht!

Also sprach Gott: „Lasset uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich“ So schuf Gott den Menschen als sein Abbild, als sein Abbild hat Gott ihn erschaffen, als Mann und Weib (dies war ein Vorschlag seines Lieblingserzengels Gabriel) schuf er sie.

Luzifer frohlockte, war aber noch nicht zufrieden. Zwar bemerkte er unter den – größtenteils bereits recht beschwipsten – Engeln auf­keimende Unruhe, insbesondere Erzengel Gabriel fand offenbar an der weiblichen Ausformung des Menschen und den zugehörigen ­Attributen höchstes Interesse. Dies gab bereits Aussicht auf Möglichkeiten, Zwietracht zu säen, wenn Gabriels Schwäche ihn zu lustvollen Taten ver­leiten sollte. Anderseits würde es diesem raffinierten Kerl wohl ge­lingen, sich herauszureden und etwaige Folgen diverser Abenteuer dem heiligen Geist in die Schuhe zu schieben. Nein, Lust und Begierde allein war zu wenig für Hass und Zwietracht, wie von Luzifer ersehnt. Macht und deren Ausübung sollte die Welt in ewigen Unfrieden stürzen und so seiner noch recht leeren Hölle reichlich Zulauf verschaffen.

„Welch armseliges Geschöpf, dieser Mensch, den Gefahren der Natur hilflos ausgeliefert – dies soll nach unserem Abbild geschaffen worden sein?“ höhnte er „Machtloses Gewürm auf Erden!“

Gott war erbost. Machtloses Gewürm! Was erlaubt sich dieser fade, mieselsüchtige Abstinenzler! Na warte! Er erhob seine Stimme und sprach zu den Menschen: „Seid fruchtbar und mehret euch! Erfüllet die Erde und macht sie euch untertan! Herrschet über die Fische des Meeres und über jegliches Lebewesen, das da kriecht auf der Erde!“

Gott sah alles was er gemacht hatte, und siehe, es schien ihm gut. Zufrieden beschloss er diesen Freitag – hatte er doch seine Schöpfung zur Vollendung gebracht!

Den verschlagen kichernden Luzifer würdigte er keines Blickes mehr – dem hatte er es ja gegeben.

Nun war endlich Sabbat, der siebte Tag, wohlverdiente Ruhe. Das Kopfweh war endlich verflogen, nun schien es ihm an der Zeit, sein Werk zu betrachten. Dort – auf dieser lieblichen Welt, selbstheilend für die Ewigkeit erschaffen – waren allerdings inzwischen abertausend Jahre vergangen.

Nun, was Gott erblickte, erschütterte ihn tief! Was war aus seiner Donnerstag noch so vollkommenen Welt geworden? Was hatten die aus einer Weinlaune heraus Freitag nachmittags erschaffenen ­Menschen daraus gemacht? Kriege ohne Ende – hie wie da damit begründet, es geschähe all dies Morden, Vergewaltigen und Rauben zu seinem, Gottes Ruhme, ja gar auf seinen Wunsch, nicht ohne Waffensegnung auf beiden Seiten! Gottlose Sozialisten (als ob er solche je zu schaffen beabsichtigt hätte) in höchsten Ämtern! Umweltzerstörung in jede Regenerationsfähigkeit seiner Schöpfung übersteigendem Ausmaß! Die Folgen der Machtgier führten offenbar zur völligen Verblödung der von ihm abbildhaft geschaffenen Menschen – Idioten, die sich und andere in die Luft sprengen, aufgrund der Versprechung, sich fortwährend mit Jungfrauen abmühen zu müssen. Als ob Jungfrauen wüssten, wie frau Mann einen Himmel bereitet, einen Himmel, den mehr Kurtisanen als Jungfrauen erreicht haben.

Allerdings musste er feststellen, dass nicht alle Luzifers Versuchungen nach Macht erlegen waren, ja außergewöhnliche Menschen ihr Leben aufs Spiel gesetzt und verloren (oder gewonnen?) hatten, um für das Gute einzutreten. Vor allem dieser Jesus von Nazareth, ein Sohn ­seines Erzengels Gabriel (unfassbar, wie die Mutter gegenüber ihrem Verlobten mit ihrer Version der Geschichte durchgekommen war). Ebenso überzeugend wie aufopferungsvoll hatte dieser in einfachen Worten den Weg zu einem Paradies auf Erden dargelegt! Was hatten sie mit ihm gemacht? Gekreuzigt! Gott war erbost! Was wäre vor allem diesem armen Jesus erspart geblieben, hätte er freitags nicht gearbeitet! Er beschloss, die Welt unverzüglich – man schrieb den 17.10.2015, 23.00 Uhr MEZ – untergehen zu lassen, um sofort eine neue zu schaffen – ohne Menschen und mit striktem Arbeitsverbot für Freitag Nachmittag!