Freitag

Gregor Zentner

Endlich.. du musst ja „endlich“ sagen weil es ist Freitag.

Im Radiowecker kommt ein „Freitag, Freitag baramtamtamtamtam“ und ein einwandfreies „Hurra das Wochende steht vor der Tür“. Eine Welt atmet auf, ein Land, eine Stadt ... und die Werbe- und Freizeit­industrie giert.. von den Freitagen des Sommers zu den Freitagen des Winters über Feste und Feiern und selbst für die, die keine Feste ­haben weil Feste nur gefeiert werden wenn Menschen und Menschen feiern.. also auch für die gibt es Feiern, wie Sommerschlussverkauf oder Winterschlussverkauf oder den 1000 Freund in der virtuellen Wirklichkeit.
Baramtamtamtamtam.

Im Morgenmuffeln, im tranigen Wachwerden, im Auseinander­dividieren von Geträumten und bloß Gefürchtetem werde ich dann ganz plötzlich in die alltägliche Wirklichkeit katapultiert. Im besten Fall plötzlich durch das letzte Blatt Klopapier und im schlimmsten Fall… das weiß ich nicht, weil der schlimmste Fall muss noch viel schlimmer sein als bereits erlebtes – nicht auszudenken.

Ich habe mir angewöhnt diese must have Kultur mit ihren Nespresso, aber auch das Gegenteil, den Espresso aus der 8eckigen Kanne, der ­italienischen, bei mir ungelebt zu lassen. Hab einfach Lößkaffee gekauft und mir ist vorgekommen als würden die Menschen die mich dabei gesehen haben erwarten, dass ich als nächstes Kukident und „die Frau im Spiegel“ kaufe – aber sicher bilde ich mir das nur wieder ein.
Ich habe mich daran gewöhnt nicht darauf zu achten – und die Dinge, die ich von den anderen annehme, nicht zu ernst zu nehmen. Ich ignoriere zumeist die Dinge, die ich den anderen zuschreibe – ganze Ge­spräche, die ich den anderen zutraue, samt Stimmlage und die Emotion dazu, ignoriere ich.

Einige Zeit habe ich versucht einfach zu lächeln. Bernhard hat gemeint, und der hat ja Psychologie studiert mit irgendeinem Wahlfach oder Zweitfach oder so– vielleicht Politik, also Bernhard hat gemeint (eventuell Theaterwissenschaften), dass man mit einem Lächeln ­immer gut durch kommt.

Über Politik redet Bernhard auch immer furchtbar viel aber deshalb muss er es nicht studiert haben aber ich denke, er könnte es studiert haben, weil das eines der wenigen nicht-kompensatorischen Studien ist. Man muss jetzt nicht unbedingt einen echten Schaden haben, um Politik zu studieren.

Man muss überhaupt für fast nichts einen Schaden haben um es zu tun, aber bei Psychologie ist es schon besonders oft so, dass da eine Geschichte dahinter liegt oder vielmehr vorher geht. Da musst du gar nicht lange suchen oder fragen – oft redest du mit jemanden ein paar Minuten und weist : Psychologie oder Psychologie im weiteren Sinn.
Da gilt auch Schamanismus mit Krafttiersuche – ist für mich eigentlich ganz nah beieinander, wobei ich Zweiteres eigentlich günstiger finde , weil ich-bezogen und die lassen die anderen in Ruh oder zumindest die, die nicht auf Krafttiersuche sind – aber oft meinen die ganz überzeugten Krafttiersucher, dass eigentlich jeder auf Krafttiersuche ist und wenn das nicht jedem so bewusst ist, wäre es das dann zumindest in der unalltäglichen Wirklichkeit – dorthin kommt aber nicht jeder und schon gar nicht wenn ihm nicht einmal bewusst ist, dass er sucht – oder dass Sie sucht – weil unter den Suchenden gibt es ja ganz viele weibliche Suchende.

Gefunden wird dann auch oft viel – alles zwischen Krafttier und Yoga.

Da kann die katholische Kirche nicht konkurrieren, weil auch mit viel Weihrauch kommt da kein Krafttier oder sonstwas und auch das ­ewige sitzen-stehe-knien-sitzen-stehen kann mit dem Morgengruß nicht mit.
Eher aus stillen Protest gehe ich in die Kirche – manchmal – unregel­mäßig – eher ein ambulanter Religionszugang.
Eine lebensbedingte Unruhe manchmal (eine Krise ist was anderes – eine Krise muss viel schlimmer sein – nicht auszudenken) und dann eben ­ambulant eine Messe , wobei die Beruhigung in der Predigt kommt.. ­selten in der Lesung … Predigt und das was ich erkenne, was der Priester meinen möchte und in meinem Fall (wobei Fall doch schon hochge­griffen) indirekt also .. es hilft wirklich – manchmal eine Art Trost.

Bernhard ganz sicher also Psychologie und vielleicht doch Politik.
Ich habe dann oft ganz bewusst gelächelt, wie er mir riet – ohne Grund. Einfach freundlich ungefragt und habe dabei , weil ich mich so sehr auf das Lächeln konzentrieren musste, weil ich es ja nicht gewohnt war und übrigens noch immer nicht bin – also ich lächle jetzt nicht mehr vorbehaltslos aber probierte ich es, müsste ich mich noch immer konzentrieren – also habe dabei meistens gar nicht so viele angenommene Gespräche und Reaktionen und so, ignorieren müssen.
Das hat mir dann eigentlich ein wenig gefehlt, weil es einfach unterhaltsamer mit anderen ist.

Heute ist ziemlich heiß.
Meine Wohnung liegt im ersten Stock eines 60er Jahre-Hauses.
Ich brauche keinen Wecker.
Die Pensionistin über mir, Frau Bäz steht um 0527Uhr auf.
Ich brauche keinen Wecker auch nicht am Wochenende und heute, am Freitag auch nicht.
Die Decken sind so hellhörig , so Bernhard – er wohnt in der Wohnung unter mir, und der kennt sich da aus , weil – vielleicht hat er Architektur studiert – aber das ist ja auch wieder ungewöhnlich, also Bernhard hat gemeint, dass diese 60er Jahre Häuser so hellhörig sind, weil da mit Styroporbeton gebaut wurde. Was das auch immer sein soll.
Frau Bäz steht um 0527 auf und tritt dabei sehr deutlich in ihre Schuhe – sicher Straßenschuhe und ich stehe dann gleich auch auf und Bernhard wahrscheinlich in Folge auch, weil ich habe einen harten Gang oder harten Schritt, so hat er es genannt. Dann Lößkaffee mit warmen Wasser aus der Leitung und dann aus dem Haus sehr bald.. weil das Straßenschuhgeklapper über mir und das Radio von Bernhard unter mir halte ich nicht lange aus – das kann ich nicht ignorieren.
Baramtamtamtamtam

In der Früh fällt das Freitagphänomen vergleichsweise egal zu den vorhergegangenen Tagen aus. Im Bad, im Frühstück dann im Verkehr und so weiter.. die lustigeren Krawatten machen die Seele nicht leichter.
Diejenigen, die am Montag in der Früh dann ganz aggressiv in ihrem Renault Espace in die Arbeit fahren, sind auch die, denen Freitag so gegen 1100 Uhr einfällt, wieviel Arbeit eigentlich noch diese Woche zu erledigen gewesen wäre und kommen das erste Mal in der Woche in so einen richtigen workflow – sind einfach wahnsinnig effizient und bekommen aber sowas von alles jetzt.. gerade jetzt unter und durch.. um dann leidend am Telefon mit der Frau zu sprechen und dann noch kurz mit dem Kind und dem Kind das gerade schon von der schule zurück oder das Kind das jetzt noch zuhause ist, aber den Papa nicht sehen wird, wenn er später kommt, weil es dann schon mit den Freunden unterwegs sein wird
Ganz toll geht es mit der Arbeit jetzt.

Es wird halb3 und auf der Straße siehst du die ersten Männer mit ­Kinderwägen prominieren. Ausgehend vom 1sten Bezirk und aus­strahlend über Mariahilf und weiter, 7ter Bezirk bis Hietzing, Währing usw.. Normal zeigen sich in Wien die Phänomene der weich-maskulinen Selbstdarstellung in der anderer Reihenfolge weil: normal geht die Entwicklung wellenartig vom 1en Bezirk über in den 8ter Bezirk – aber nicht bei den Männer mit den Kinderwägen eher bei Männern mit Kind und Laufrad oder Kind an der Hand. Die mit den Kinder­wägen und dem Handy in der (meistens) Linken prominieren eher auch dann im 6ten auch wenn sie im 8ten wohnen, weil fahrbreiten-und schaufensterbedingt Fussgängerzonen zu bevorzugen sind – und der 8chte ist schon sehr hügelig und die Gehsteige zu eng und dann mit Telefon und Kinderwagen (eben dadurch meistens) rechts und dann musst du doch auch im Schaufenster prüfen ob die Haare und der Gesamteindruck doch ideal sind und dann hast du bei den engen Gehsteigen sofort einen Stau und im Achten dann auch immer, weil doch fast schon bezirksidentitätsbedingt freundlich (und erstaunlich viele lächelnd) in der Staukritik der Passanten immer ein freundliches Kurzgespräch, das beim Telefonieren stört.. nach dem Motto „jaja war bei uns auch so wie die unseren noch klein waren..“ oder „früher ­waren die Kinderwägen noch breiter“ begleitet von diesem 8chten-Bezirk-Lächeln so in dieser Lebensminute zwischen veganem Frühstück und Yogastunde – diese grauen abgespannten Gesichter in ihren bunten Sommerdaunengelees und den fröhlichen Desigualmustern, den Freitagtaschen und den Filzmodeschmuck, dem Standard unterm Arm und die Einkaufsliste für ein Ayuvedarezept im Kopf.
Ich sollte jetzt wieder einfach lächeln.

Ein paar sind schon unterwegs – Kinderwagenmänner.
Ich sitze im Eisgeschäft. Eisdiele haben wir früher gesagt – wieso denn Eisdiele.. das ist wie mit den Gebeten in der Kirche, wo du jahrelang als Ministrant betest und betest: „wie auch wir vergeben unsern sündigern“ und du kommst, weil du aus irgend einem Grund, Jahre später darüber stolperst drauf , dass du nicht den „Sündi“, wo du eh nie gewusst hast wer das ein soll „gerne vergibst“, sondern dass es „Sündigern“ heisst.

So ist das mit der Eisdiele eben auch.
Ich treffe hier heute Jonas
Jonas ist jetzt so 14 Jahre alt.
Er wohnt bei seiner Mutter.
Wir sehen uns selten.
Jonas ist gerade nicht so kommunikativ. Das ist halt so wenn die Kiz erwachsen werden oder zumindest groß. Jonas hat sich ewig nicht blicken lassen und dann ruft er an. Keine sms oder ein whatsapp – zum Glück kein whatsapp – nein er ruft an und meint er wolle mich gerne treffen und seine Freundin würde mitkommen.
Seine Freundin – als ob das das normalste der Welt wäre. Jonas rührt sich seit 2 Monaten nicht und dann mit Freundin , und das, so als ob das eh klar wäre.
Diese whatsapp kann ich ja nicht leiden.. ich weiss überhaupt nicht wie das funktioniert und dann wer da was sieht und wem verkauft – Kontakte und Daten und so; und da bin ich schon froh dass er endlich anruft und nicht dauernd whatsappt.
Irgendwann sagte Jonas, dass er mich whatsappen würde – ich glaube so hat er gesagt – wenn ich „whatsappen“ sage klingt das als würde Udo Huber die heutigen Radiocharts ansagen – das passt nicht.
Ich habe einige Worte ausprobiert.. auch diese einfachsten wie ­„chillig“ und „cool“ aber das passt nicht. Ich habe darauf geachtet zB „chillig“ richtig anzuwenden und habe auch Jonas zugehört in ­welchen Sätzen er „chillig“ verwendet und habe diese Sätze in halbwegs ­passender Gesprächssituation verwendet und es klang ganz furchtbar – nicht nur für mich – es ist sozusagen unangenehm aufgefallen, dass ich diesen Satz verwende und darin dieses Wort. Ich hatte ja die ­Sicherheit, dass es in diesen Satz passt und trotzdem war es ein irretierender Fremdkörper im Gespräch und so ließ ich das mit diesen neuen Worten auch wieder sein. Ich möchte mich da ja nicht mehr exponieren als es sich so schon nicht vermeiden lässt. Offensichtlich exponiere ich mich öfter, sagt Bernhard – kann mir aber nicht sagen womit und schien mir ohnedies bis vor seinem Tip, dass ich lächeln sollte, ratlos.

Jonas kommt mitseiner Freundin – nicht einer Freundin – nein – seiner Freundin und sagt mir beiläufig und irgendwie undeutlich ihren ­Namen.
Es ist ein schwieriger Name. Ich bin ja froh dass Jonas „Jonas“ heißt. Damals gab es obwohl der Name wirklich Magda und meine Idee war (eigentlich war es Magdas Idee und mir gefiel Jonas) , mehrere Jonas im Kindergarten – aber „Jonas“ das ist noch ein Name – aber seine also Jonas Freundin hat einen schwierigen Namen – nicht seltsam aber schwierig.
 Ich merke mir Namen nicht prinzipiell schlecht aber es war die Auf­regung. Jonas ruft an. Seit Wochen das erste Mal ein Anruf und nicht so ein whatsapp, aber er hat das so wie nebenher gesagt, als wäre er sich gar nicht sicher wie sie heisst und er nuschelt ein wenig mit seinen Zahnspangen. Vielleicht war es auch nicht seine Idee, dass wir uns treffen sollen sondern Ihre und da war er nicht so deutlich mit dem Namen.
 Ich glaube sie heißt Bernadette.. nein aber egal das kommt dann sicher wieder – stimmt nicht bei mir funktioniert das schon lange nicht mehr, dass „dann später was kommt“ was mir jetzt nicht einfällt.
Amelie, ha, sie heisst Amelie.. ja genau wie im Film.. „sowas seltsames“ habe ich mir noch am Telefon gedacht“. Da werden Menschen ewig nach Heiligen und so benannt und dann diese Filmnamen. Zum Teil so amerikanisierte Filmnamen wie Jennifer oder die allseits bekannten Kevins.
Die Kinder der Kevins und Jennifer heißen jetzt Joel und Noel und so – egal.
Diese Eltern glauben dann, das mit den hübschen sympathischen Filmamen ist eine originelle Idee und in der Schule gibt’s dann in jeder Klasse 3 Amelies und keine Petra oder Brigitte oder Sandra mehr.

Amelie. Jetzt bin ich etwas beruhigt.
Jonas braucht noch 2 Jahre seine Zahnspange hat der Zahnarzt mit leuchtenden Augen verkündet und Magda mir mit einem ein wenig bösartig fordernden, weil Zahnspange ist ja nicht dabei bei den Alimenten und auch nicht Urlaub und solche „Extraausgaben“. Dabei bleibt es aber nicht , weil ein Teenager braucht halt die Teenager­basisausstattung und das umfasst die Dinge, die ein Teenager braucht um in der Gruppe bestehen zu können. Magda versteht das nicht und Jonas versteht nur, dass er diese Dinge braucht und ich verstehe das. Burton Schultasche und Kappe mit ganz ebenen Schirm mit silbernen Pickerl und Riesenhosen und die kleinen teuren Dinge die mit i-Beginnen und die immer mehr werden und wenn die Ausstattung auf Stand ist wieder veraltert sind und dann wieder zurück zum Start. Ich kaufe das. Ich kaufe das sogar gerne mit Ihm ein, weil es hätte ja überhaupt keinen Sinn wenn ich das aussuchen würde – ebenso wenig wie es funktioniert, wenn ich seine Worte verwende.
Es ist tatsächlich so, dass ich Jonas die Dinge zahle um ihn auch manchmal zu sehen – Magda zahle ich um Sie nicht sehen zu müssen.

Der Kellner sehen mich fragend an. Ich lächle und bestelle einen zweiten Kaffee es ist schon später als ausgemacht . 1500Uhr hatten wir ausgemacht jetzt ist es schon später. Vielleicht hat er einen Rück­zieher gemacht und hat mir eine Nachricht geschickt. Ich nestle mir das Telefon aus der Jacketinnentasche.. es ist mühsam weil das Innenfutter beim Abnäher innen einrissen ist und Fäden zieht und die Kante vom Telefon beim Herausziehen sich jedesmal in den kurzen Riss verhängt und dann stellt sich beim Herausziehen das Telefon quer und geht so gar nicht mehr aus der Jacketinnentasche und ich muss von vorne beginnen und dann endlich wenn es draußen ist sehe ich, ich habe ein whatsapp bekommen. Einen Anruf hätte ich sowieso versäumt aber ein whatsapp kann ich nicht einfach versäumen – das ist so eine Zumutung. Ich könnte ihn Anrufen – sicher ist diese whatsappnachricht von ihm aber ich kann sie nicht öffnen. Ich wähle seine Nummer aber er geht nicht dran. Ich schreibe ein sms „Kommst du und Amelie noch?“ Es dauert keine 3 Minuten und er schreibt „ Nein. Und sie heisst Ronja“ das kann nicht sein – ich war mir doch ganz ­sicher – nein da irrt er sich bestimmt oder es ist eine andere – nein damit irre ich mich bestimmt – nicht mit 14 – nicht mit Zahnspange. „Schade“ schreibe ich, ich bin richtig gut beim sms n. „Wann sehen wir uns dann?“ ergänze ich. „Ich meld mich“ kommt zurück und ich weiß, dass das diesmal sehr lange dauern wird.
Ich zahle und der Kellner wirkt erleichtert. Habe ich jetzt den 2ten Kaffee bekommen? Ich bin mir nicht sicher – auf der Rechnung steht er.

Am Heimweg kommen mir neben dem Sportplatz noch die „ich gehe mit meinen jungs fussball spielen väter“ entgegen – es wird kühl. Ich gehe in den Park vor der Kirche, gehe und lächle probeweise ein ­wenig-lasse es wieder und setze mich endlich hinein. Drinnen: die ­Kälte der barocken Mauern. Neben mir füllen sich nach und nach knarrend die Reihen. Zu spät, nach Läuten und Orgel, mitten in der Lesung, der ich nicht zuhöre fällt mir ein, dass freitags keine Predigt gesprochen wird.