Waschtag

Zentner Gregor


Wenn du den Rand deiner Nägel mit der Schneide eines Zahnes abfährst und die Augen zu machst; also ganz an deinem Zahn und ganz langsam entlang, dann hörst du es wie Kreideschreiben und dann hakt der Zahn sanft ein. Wenn du zu schnell bist erst später, aber er macht das ganz so, als wollte er nichts versäumen und hier heißt das: ganz sanft und er lässt den Zahn im Bogen rasten. Er schneidet ein kurzes Stück tiefer, weiter in die Kerbe, um wieder los zu lassen. Seine Zunge prüft die Stelle, und sie ist wie ein Widerhaken an Ihm und so schneidet er den Nagel weiter ein, soweit dass er sich wie ein Span von ihm löst. Wenn er den Schiefer zwischen den Schneidezähnen zerdrückt hört er das Durchdringen der Hornschichten leise knistern und wieder loslassen und ein Stück weiter vorne wieder das Knistern. Er liebt diese, seine eigenen Geräusche. Die Ungeduld drängt ihn den Nagel abzuziehen.

Er schiebt die Sichel zwischen Zahnfleisch und Wange und er spürt die scharfe Säge der Rissstelle. „Ich hobel mich wieder glatt!“ Holprig zunächst und schneller als vorher und an der Stelle an der sich der Nagel schon abgelöst hatte zog die zähe Haut des Nagelbetts eine Furt in dasselbe. Es brennt. Ein Genuss.. dieses sich über den Schmerz wahrnehmen.

Das Wasser wird langsam kalt und er dreht am Hahn. Ruhig liegt er da, und der weiche Strahl des Wassers lässt sich den Wannenrand herab und zieht über seine Haut, und streift die Luftperlen von seiner spärlichen Körperbehaarung.
Da hat er sich beim Turnen immer so schnell umgezogen, weil die cooleren Typen waren immer die mit Achselflaum und das mit 14 oder sogar früher und da funktioniert schummeln nicht so wie sonst. Klar wollt er dabei sein. Er war auch immer dabei irgendwo. In der Schule da hatte er es ganz schnell draußen, dass er nicht einfach ohne abchecken sagen kann was er gut oder cool oder geil oder so findet. Zum Beispiel wenn er eine neue CD gut fand, da konnte er nicht einfach hingehen und sagen:“schaut´s die find ich echt geil!“ – viel zu gefährlich! Vor deinen Freunden streust du zuerst nur vorsichtig den Namen von der Band in ein Gespräch ein und wartest auf die Reaktion und dann erzählst du, du hättest einen Titel von der CD im Radio gehört und dann hast du sie erst ein paar Tage später gekauft. Alles mit Netz und cool bist du auch irgendwie, weil du mit der Zeit es schon draufhast, dass die anderen nicht mitkriegen wie du dich nach ihnen orientierst. Schwierig war es nur wenn er zwei Gruppen mischen musste: Da waren die Freunde aus Klasse mit denen du unterwegs bist und dann triffst du die Freunde vom Fußballtraining. Das ist ja überhaupt schräg, weil das mit dem Fußball hat sein Vater so wichtig genommen.. Rapid und so.. und sei so gut für den Charakter in einem Club zu spielen, und er hat sich gedacht: eh auch sonst cool, weil in der Klasse war Fußball total wichtig, bei dem Burschen. Er weiß eh, dass er eigentlich nur in der Partie war weil er gut spielte, aber das war eh ok weil das war wenigstens was. Die Klassenfreunde und die Fußballclubtypen mischten sich nie.
Spielen können ist ja gut, aber die Typen vom Club waren eher die Prolos. Da ist nicht viel von ihm übergeblieben wenn beide Gruppen zusammen gekommen sind.

Das Wasser ist so warm jetzt, dass er die Füße abwechselnd aus dem Wasser halten muss um gemittelt wohltemperiert zu bleiben.

Was meint er überhaupt mit übrig bleiben? Nur ein kleinster gemeinsamer Nenner so wie beim Bundesheer – klar hat er mitgeschimpft über alles aber ansonsten – ja da hat er seinen Platz gehabt in einem System. Und nach acht Monaten wars wieder aus und deshalb nächstes System: Politik dachte er sich: da gibt es fertige Inhalte für Ihn, und weil´s das einfachste war gleich zur Familienpartei, also nicht die mit der Familie mit Dirndl und Loden sondern die andere... die von seiner Familie, die mit den über die Blumenwiese laufenden Bawag Sparern (und Innen) und da ist Mitlaufen ja fast schon im Slogan. Interessensvertretung der Inhaltsarmen. Aber teilhaben am Gestaltungsprozess so ... so wie Weihnachten für Sozialisten. Aber das war mit der Partei so wie mit dem Weihnachten.

Vor Weihnachten sind die Familien zusammen gesessen – früher – und da ist Spielzeug gebastelt worden und Jackerl gestrickt worden und so was, und heute kriegst die eingeschweißten Packerl gar nimmer auf, aber das Plastik muss oben bleiben, weil sonst kannst du´s nicht mehr umtauschen – und wenn du aufkriegst, dann verstehst die Gebrauchsanweisung nicht und hängst bei der Notrufnummer in der Schleife – ewig, um dir dann vom perfekt geschulten Personal mit verständlichen Worten erklären lassen kann, dass du ein Vollidiot bist, und er entschuldigt sich dann auch noch immer.

Wie bei der Parteipolitik eben – bis auf das Umtauschen.
Dabei dachte er, dass Politik für ihn so eine Art Nische sein könnte, weil da ist die ganze Ideologie schon vorgegeben und entsprechend agieren ist doch seine Sache aber – soviel Eingeschweißtes das er nicht aufkriegte... und keine Notrufnummer.

Den ganzen Sommer schaut er auf die Pelargonien von Gegenüber und findet sie hässlich und jetzt wo sie nicht mehr da sind, fehlen sie ihm.
Niemand liebt wirklich Pelargonien ... niemand den er kennt. Genau bei solchen Dingen fragt er sich dann was er selbst an diesen nicht mag und sucht nach seiner Meinung und kommt zum Schluss, dass er keine hat. Und dann fragt er sich ob er Geschmack hat und was das ist und außer dem was andere gut finden? Das würde ihm schon gefallen einmal aufzustehen und zu sagen:“Ihr mögt Pelargonien ja hassen aber ich halte sie für die schönsten Blumen der Welt!“. Was würde Nina sagen wenn er ihr ein Kisterl Pelargonien brächte? Würde sie ihn trotzdem lieben – oder um genauer zu sein: lieben, was er ihr zeigt?
Nina und er sind jetzt bald zwei Jahre zusammen. Die Halbwertszeit seiner Beziehungen beträgt ziemlich genau ein Jahr – dann kotzt es ihn an einfach an in seiner Rolle gefangen zu sein und wird kalt und sie unzufrieden und dann ist es bald vorbei..

Beide Beine im Wasser und den letzten Nagel zerkaut.
Die Haare im Nacken wie Tang spüren.
Warm ... gut ...

„... ich hatte einen Setzkasten geschnitzt
ganz klein war der
und ich hab ihn so lange hinter meinem linken Ohr getragen,
bis er mich beim Zurückschauen störte
und gedrückt hat der kleine Setzkasten auch.
In seinen Fächern waren die Staubränder von Gedanken und
Wünschen und von Fragen... und Spuren ihrer Flucht.
Habe nichts mehr reingestellt sondern mich versucht zu erinnern das denn da war...
Als der große Wolf kam hatten sich fast alle Kaninchen im Hut
versteckt – aber der Wolf war ein großer Zauberer und schwupp-diwupp zauberte alle Kaninchen heraus und schwuppdiwupp hinein in diese Vakuumtiefkühlbeutel und legte sie bis Weihnachten in die Truhe. Der Wolf trank noch einen Aperolspritzer und verschwand.
Das letzte Kaninchen (die anderen hielten es für das Dümmste) wartete in der Wanduhr auf seine Stunde.
Es kommt schon vor dass du etwas auf eine so halbgründliche
Art suchst, dass du dir darin unsicher bleiben kannst, dass du
es findest ...“

Im kalten Badewasser aufwachen, das mag niemand. Er steht auf und betrachtet die Schmutzränder am Wannenrand nicht ohne Stolz.

Gleich kommt Nina.