Frau ohne Eigenschaften

Stefan Wurst


Vincent van Gogh hat gesagt: „Die Fischer wissen, dass das Meer gefährlich ist und der Sturm schrecklich, aber für sie waren diese Gefahren noch nie ein Grund, an Land zu bleiben.“
Ebenso könnte man sagen: „Die Krachmänner wissen, dass das Schreiben gefährlich ist und die Jury schrecklich, aber für sie waren diese Gefahren noch nie ein Grund, zu Hause zu bleiben.“

Fußnote: Korrektes Gendering ist ja für unseren Gastgeber eine Selbstverständlichkeit, sodass ich Alle und Allinnen bitte, das soeben verwendete Wort „Krachmänner“ so umfassend zu verstehen, wie Stefan Loicht es in seiner Einladung zum Krachmann 2009 unsterblich treffend ausgedrückt hat: „Krachfrauen, Krachmänner, Krachtransen, Krachtrienen, Krachbrüder, Krachschwestern, Krachophobe, Krachophile, Krachchargen, Krachurargen und sonstige Krachs“.

        Frau ohne Eigenschaften
        von Stefan Wurst

Ich habe mich entschieden, diesmal keinen Beitrag beizutragen, (bitte, liebe Jury, man beachte diese wunderschöne figura etymologica gleich hier zu Beginn), sondern lediglich sinnfreie Betrachtungen über das Thema anzustellen, esoterisch formuliert: über das Thema zu meditieren.

„Die Frau ohne Eigenschaften“ also.

Warum nicht „Der Mann ohne Schatten“?

oder „Die Sendung ohne Namen“?

Tja, schwiiierich.

Aber wir meditieren ja bloß, ganz ephemer, – flüchtig, vergänglich also.
Mit einer Unbekümmertheit, die uns in einem immer gleichen, langsamen Rhythmus am Rande der Gleichgültigkeit hält.

Was will dieses Thema mit uns, von uns?
Ist es als Aufforderung zu verstehen, künftig etwas musilesk-aus-uferndere Beiträge zu verfassen? Man stelle sich dann – unter zu Grunde Legung eines 12-Stunden-Tages – die Verlesungen vor:
Stefan Loicht: Oktober bis Dezember,
Christian Ondrak: die ersten zwei Jänner-Wochen,
Victor Stehmann dann: Mitte Jänner … so bis in den Advent…

Oder ist dieses Thema als weiterer Mühlstein, pardon Meilenstein, auf dem Weg zum Gender Mainstreaming zu betrachten? Sollen wir dem sozialen und psychologischen Geschlecht jeder in unseren Beiträgen vorkommenden Person – unter penibler Herausarbeitung des Gegensatzes zu ihrem biologischen Geschlecht – mehr Aufmerksamkeit widmen?

Haben wir uns mit den erschütternden Ergebnissen des Gender-Gap-Reports auseinanderzusetzen, der die verheerende Benachteiligung der Frauen betreffs Einkommenssituation nachweist?

Sollen wir eher soziologisch und kulturpsychologisch forschen und Begriffe wie „Vaterland“ aus unserem Bewusstsein (und insbesondere auch aus unseren Beiträgen) tilgen?

Oder ist „Die Frau ohne Eigenschaften“ eher so eine Art Binnen-I durch die Hintertür?

Wer kann es schon wissen?

So sitzt man also – levitationsfrei – meditierend an seinem Schreibtisch und wartet darauf, dass die Ideen – wie Furzblasen aus dem warmen Moorbad – an der Oberfläche des Geistes aufplatzen.

Natürlich muss auch der Gedanke zulässig sein, dass das Thema möglicherweise ein „Re-Gendering“ des Musil-Romans „Der Mann ohne Eigenschaften“ nahe legt: Die Hauptfigur unseres Beitrages wäre demnach nicht Ulrich sondern Ulrike, die dann bei der Parallelaktion eben Beraterin (und nicht Berater) wird. Sicherlich ein annehmbarer Beruf, besser als so mancher andere. Die quasi-inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester Agathe wäre dann halt lesbisch-inzestuös statt bloß normal inzestuös. Ein Re-Gendering des Mannes ohne Eigenschaften liegt umso näher, als der Initiator der Parallelaktion, Graf Leinsdorf, unbestreitbare Parallelen zu unserem Gastgeber Stefan Loicht aufweist, – man beachte schon die Namensähnlichkeit Leinsdorf – Loicht. In der aktuellen Re-Gendering-Version wäre dann natürlich eine Gräfin Leinsdorf von Nöten, die in der zauberhaften Gastgeberin, die ja immerhin einen aufrechen Ladytitel (vermutlich war das ein Krachmann-Trostpreis) ihr eigen nennt, eine nahezu perfekte Entsprechung fände, wäre da nicht in der Diotima, also Hermine Tuzzi, die als solche natürlich ein Re-Gendering nicht nötig hat, die aber durch ihre Angewohnheit, Salons zu veranstalten, bei der sich die Vertreter der verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen Kakaniens treffen, um eben die Ideen für die Parallelaktion zu entwickeln, ein noch viel treffenderes Vorbild zur Hand. Immerhin ist ja ihr Gemahlsgatte niemand geringerer als Sektionschef Tuzzi, der durch seinen Titel wiederum pfeilgerade und punktgenau auf die Familie Loicht verweist.
Die Umfirmierung des Sexualmörders Moosbrugger zur Moosbruggerin kann in diesem Zusammenhang natürlich keinerlei Probleme bereiten. Der radikal sozialistische Aktivist Schmeisser hat wiederum in unserem Gastgeber ein anheimelnd-ideales Pendant. Interessant und in einer
regenderten (man beachte diese traumhafte Wortschöpfung, liebe Jury!) Version gut unterzubringen ist sicherlich auch Ulrichs, pardon Ulrikes, Jugendfreund, pardon Jugendfreundin, nämlich Walter – also Walli, die ja letztlich die Bezeichnung „Mann ohne Eigenschaften“ als Beschimpfung für Ulrich ersonnen hat. Was uns ja insofern nicht wundert, als Clarisse, dessen Ehefrau, mit Walli den Geschlechtsverkehr
verweigert und sich ein Kind von Ulrich, nunmehr natürlich Ulrike, wünscht – und überdies offen für den Wahnsinn schwärmt.
Auch hier also mannigfache Bezüge zu unserer netten Runde da.

Aber, Hand aufs Herz: Eine Frau ohne Eigenschaften gibt es doch nicht.
Schon oberflächliche Betrachtung des Themas erweist, dass die Frau sehr wohl über Eigenschaften verfügt, und zwar – wie intensive wissenschaftliche Befassung nach angemessener Vertiefung ergibt – vor allem über weibliche.

Die hesiod´schen Musen, allesamt weiblich, sind ausschließlich für Angenehmes und Erfreuliches zuständig:

Klio, die Rühmende,
Melpomene, die Singende,
Terpsichore, die fröhlich im Reigen Tanzende,
Thalia, die Festliche, Blühende,
Euterpe, die Erfreuende,
Erato, die Liebevolle, Sehnsucht weckende,
Urania, die Himmlische,
Polyhymnia, die Hymnenreiche,
Kalliope, die mit der schönen Stimme.

Frauen mit Eigenschaften, wunderbaren Eigenschaften.

Was läge nun näher als ein kleiner Streifzug durch Kunst und Kultur…
So meint der Herzog von Mantua im 3. Akt von Rigoletto bekanntlich, „La donna è mobile“, was in der gängigen Übersetzung „Oh wie so trügerisch sind Weiberherzen“ gesungen wird und somit sehr wohl eine gewisse Eigenschaft der Frau vermuten lässt: Verdi wusste das alles bereits im Jahre 1851.

Ach, was heißt 1851?
Schon die griechische Mythologie lehrt uns, dass Frauen grundsätzlich Eigenschaften haben, man betrachte nur die notorische Angewohnheit Homers, den Frauen positive Epitheta zu verleihen; die schöne Helena, (was für ein einfallsreiches Epitheton ornans!), die rosenfingrige Eos, die kuhäugige Athene, – oder wenn schon gar nichts anderes mehr geht, dann noch immerhin die „Jungfrau Briseis“. Auch Jungfräulichkeit ist ja letztlich eine mehr oder weniger verbreitete Eigenschaft.

Auffällig in diesem Zusammenhang ist jedenfalls, dass Frauen über doch durchschnittlich eher angenehme als über unangenehme Eigenschaften verfügen müssen, sonst wäre die aus der Kriminalstatistik mühelos zu erkennende Tatsache, dass Frauen seltener Mordopfer als Männer sind, nicht erklärlich.
Wenn man nicht gerade Agamemnon ist und seine Tochter über Beratung eines Sehers, (das sind die heutigen Rechtsanwälte), unter dem Vorwand einer Opferung meuchelt, kommt Tochtermord doch eher relativ selten vor.

Andererseits, gegen die Annahme überwiegend positiver Eigenschaften von Frauen spricht der Fortgang der Geschichte, wonach Agamemnon von seiner Frau Klytaimnestra und ihrem Geliebten Aigisthos im Bade erdolcht wurde, – wobei man sich aber wohlmeinend vorstellen kann, dass Klytaimnestra lediglich Beitragstäterin und Aigisthos wohl der Haupt- und Ausführungstäter war.

Wenn wir nun schon gerade so gemütlich in der griechischen Mythologie verweilen – es fallen auch andere Gegenbeweise zur Annahme überwiegend positiver Eigenschaften der Frau auf: Medea immerhin zerstückelt ihre eigenen Kinder!

Und apropos, die Revolution – also auch eine Frau – frisst sie sogar auf.
„Die Revolution, gleich Saturn, frisst ihre eigenen Kinder“, so die überlieferte Langversion des sprichwörtlichen Ausspruchs „Die Revolution frisst ihre Kinder“ sollen Pierre Vergniauds letzte Worte vor dem Schafott gewesen sein

Übrigens: Alle Interneteinträge zum Schlagwort „Kinderfressen“ listen weibliche Kinderfresser auf:
Die Globalisierung frisst ihre Kinder
Die Landreform frisst ihre Kinder
Die Kritische Theorie frisst ihre Kinder
Die Geldreligion frisst ihre Kinder
Die Raving Society (was immer das sein mag) frisst ihre Kinder
Die Privatisierung frisst ihre Kinder
Und einige andere mehr fressen offenbar auch gerne ihre Kinder

Die unter dem Künstlernamen „Schwarze Witwe“ zu Berühmtheit gelangte Elfriede Blauensteiner vergiftete erst ihre Ehemänner Nummer eins und zwei, sodann reihenweise diverse Pensionisten und sorgte sich in Folge liebevoll um deren finanzielle Überreste. Ein „Weibsteufel“ 80 Jahre nach der Uraufführung des gleichnamigen Dramas des Tiroler Schriftstellers Karl Schönherr.
Oder die lieben vier Hilfspflegerinnen des städtischen Krankenhauses Lainz, die durch Einflößen des Schlafmittels Rohypnol lästige Patienten fließbandweise von ihren Qualen befreiten.

Aber zurück zur griechischen Mythologie: Die den Römern als Furien bekannten Erinnyen oder die „Maniai“ – daher das englische „maniac“ – die Rasenden, waren die drei Rachegöttinnen der Hellenen: Alekto, die unaufhörlich Jagende, Megaira, deutsch auch „Megäre“, die neidisch Zornige und Tisiphone, die Vergeltung oder die Rächende.
Dagegen nimmt sich Sokrates‘ Xanthippe, Inbegriff des zänkischen Weibes schlechthin, direkt harmlos aus.

Also: Ein Beispiel für eine Frau ohne Eigenschaften konnte ich nicht finden.
Was aber will das Thema „Die Frau ohne Eigenschaften“ von uns?
In tiefer Verneigung vor dem wohl generell belehrenden, erhellenden und erhebenden Charakter der Krachmann-Themenstellungen lege ich mir daher die Frage vor, – und man beachte – dies, noch lange, bevor ich beginne, über die Eigenschaften meiner Frau nachzudenken:
„Wäre eine Frau ohne Eigenschaften nicht vielleicht – die bessere Frau?“
 
„Im Grunde wissen in den Jahren der Lebensmitte wenig Menschen mehr, wie sie eigentlich zu sich selbst gekommen sind, zu ihren Vergnügungen, zu ihrer Weltanschauung, ihrer Frau, ihrem Charakter, Beruf und ihren Erfolgen, aber sie haben das Gefühl, dass sich nun nicht mehr viel ändern kann.“
(Musil aus „Der Mann ohne Eigenschaften“)