Jurystimmen

Dr. Schübl Elmar & Ranner Daniel


In Hinblick auf die das Verfassen der diesjährigen Beiträge erschwerende Auflage – Vermeidung des widernatürlichen W(ehs) – muss wohl die Vorsehung ins Spiel gebracht werden, wenn man den Grund für das Fernbleiben von Horst Christoph, der als Juror maßgeblich zum Erfolg des letztjährigen Krachmann-Preises beigetragen hat, erfährt. Die Folgen des Hebens einer Weinkiste am Vorabend des 14. Oktobers verunmöglichten die Teilnahme am diesjährigen Wettbewerb. – Um Missverständnissen vorzubeugen, sei gesagt, dass es sich um einen Fall von Lumbalgie (und nicht von Veisalgia) handelte. – An dieser Stelle dürfen die zahlreichen Genesungswünsche nicht unerwähnt bleiben; festzuhalten ist auch der von den KrachmännerInnen geäußerte Wunsch, Horst Christoph möge im nächsten Jahr die Veranstaltung mit seinen fachkundigen Kommentaren wieder bereichern.

Dass der Krachmann-Preis 2006 überhaupt verliehen werden konnte, ist Daniel Ranner zu verdanken, der sich spontan dazu bereit erklärte, als Jurymitglied zur Verfügung zu stehen und damit Schübl‘sche Willkür verhinderte. Dass auch in diesem Jahr weder Literaten noch Jurymitglieder auf Stöcke, Peitschen, Mühlsteine, Feuerlöscher etc. zurückgreifen mussten, spricht zweifellos für die Qualität des Dargebotenen. Eine große Freude bereiteten den Juroren jene Worte, die Stefan Wurst nach der Preisverleihung für ihre Tätigkeit fand und in unnachahmlicher Weise vorzutragen verstand („Ich bitt´ Sie nun zum Schluss und Ende, / Bedienen Sie sich Ihrer Hände, / Aller beider, bitte sehr, / Sie sehen gleich, es ist nicht schwer, / Die Spitzen von sich weggerichtet, / Damit die Luft, die sich verdichtet, / Entweicht mit einem lauten Krach, / Sobald die Hände, die nun flach, / Man schnell und fest zusammenführt, / So lang, bis man es richtig spürt. / Auf mein Kommando, dann ist’s aus, / Für die Juroren - ein Applaus.“) – herzlichen Dank! Für die Gestaltung dieses schönen Druckwerks sei ebenso herzlich Stephan Hiegetsberger gedankt, der bereits die Herausgabe des ersten Bandes (2005) dieser Reihe besorgte.

Wenn es das Schicksal gut mit uns meint, sollten die „Nachwuchsfreizeitliteraten“ 2007 mit einem Triumvirat (Christoph–Ranner–Schübl) konfrontiert sein, das dann wohl wiederum eine undankbare Aufgabe zu meistern hat, sofern auch im nächsten Jahr ähnlich viele geistreiche Beiträge verlesen werden sollten. – 2007 sollte auch Michael Drucker wieder teilnehmen können, dem technische Probleme (PC) den diesjährigen Wettbewerb verleideten. Eine entsprechende Stellungnahme, die Stefan Loicht verlas, wurde von den Anwesenden mit Bedauern zur Kenntnis genommen.


Dass die gestellte Aufgabe so ihre Tücken hat, thematisierte Gerhard Höffler, der in seinem Beitrag Tiefen und Untiefen menschlichen Daseins auslotete. Bei solch existentialistischen Ausführungen wäre (w)ehklagen nur allzu verständlich, aber dies war unter den gegebenen Umständen eben nur beschränkt möglich.


Stefan Loicht gab ein Dramolett (in drei Akten aus einem Sanatorium) zum Besten, wobei sich die Jury sofort darüber einig war, dass dieses Stück – „Das Narrenschiff oder die Möglichkeit einer Insel auf dem Zauberberg“– nur auf der Bühne (Burgtheater?) seine volle Wirkung entfalten kann. Die klar herausgearbeiteten Charaktere, mehr als 19 (!) an der Zahl, lassen auf eine feine Beobachtungsgabe des hoffnungsvollen (Jung-)Dramatikers schließen, der – so will es scheinen – aus dem Vollen geschöpft und dabei tief in die Wiener Seele geblickt hat.


Christian Ondrak
lieferte mit „W(ert)voll“ eine mitreißende Apologie – Mut und Wut kommen darin nicht zu kurz. Ein wunderbarer, wichtiger und wertvoller Beitrag, der uns höchst willkommen war, Würdigung erfuhr und das nächste Achterl Wein zur Folge hatte.


Einen originellen Weg, der gewissermaßen in die entgegen gesetzte Richtung wies, schlug Rudolf Pinter ein, indem er einen Zeitungsartikel – „Im Rausch der Politik“ – heranzog und in seinem ausgezeichneten Vortrag konsequent das W aussparte, ?as dem Text das ge?isse Extra verlieh.

Ein sehr beachtliches Debüt gab Christian Swoboda (d.i. Chrisi Chrissini) mit dem Text „Autobahn zur Hölle – 1979 oder Legt euer Ohr auf die Schiene der Geschichte“. Leider war es dem Autor nicht vergönnt, den Abend in der Casa Maximiliana verbringen zu können; die Herausforderung, die sein anspruchsvoller Text an den Vortragenden stellt, meisterte Andreas Roseneder mit Bravour und trug damit Wesentliches zu einem der zahlreichen Höhepunkte des Krachmann-Preises 2006 bei. Swobodas Geschichtsbewusstsein beeindruckt ebenso sehr wie die Direktheit seiner Sprache und sein ausgeprägtes Reflexionsvermögen.

Dass Victor Stehmann, Sieger des Krachmann-Preises 2005, unseren hochgeschätzten Beckmann wieder in Erscheinung treten ließ, bereitete allen Anwesenden größtes Vergnügen. Stehmann, ein Großmeister des Surrealen, thematisiert in seiner genialen Erzählung „Kein Thema!“ die jüngere Vergangenheit des ORF. Seiner Interpretation, die eigentlich von Ö1 aufgegriffen werden sollte, liegt eine zwingende Logik zugrunde, dass schließlich nur der immer noch im Augarten stehende Flakturm für eine gewisse Irritation sorgt. Kaum zu glauben ist auch, dass Stehmann (quasi nebenbei) die Vorgabe erfüllt – 4 W(idernatürliche) bei ca. 11.2600 Zeichen! Auf diese bemerkenswerte Leistung muss verwiesen werden, da man sie aufgrund der Sprachgewandtheit des Autors allzu leicht übersieht. In der Hoffnung, dass Beckmann auch das Abenteuer mit Monika Lindner heil überstanden hat, stellt sich bereits die Vorfreude auf eine weitere Episode im Rahmen des Krachmann-Preises 2007 ein. (Kurz vor Weihnachten sei noch ein frommer Wunsch gestattet: Wir hätten gerne eine Sammlung von Erzählungen Stehmanns, die es wohl innerhalb weniger Wochen an die Spitze der Bestseller-Listen schaffen würde.)

In jene Extremsituation – „Alles ist möglich, Nichts geht mehr“ –, die durch die heurige Aufgabenstellung provoziert wurde, führte uns Reinhard Mechtler, der dem mächtigen nihilistischen Sog widerstand und einen äußerst amüsanten und gleichsam hintergründigen Beitrag vortrug, der nicht nur die Juroren zum Lachen und Grübeln brachte.

Ebenfalls von feinem Humor getragen ist der Beitrag von Harald Schmidt, der sich mit der österreichischen Geschichte auseinandersetzte. Zwei dunkle Kapitel (Königgrätz, 1866 & Sarajewo, 1914) bilden Ausgangspunkte für tiefsinnige Reflexionen, die den Titel „Geschichte ohne ... typisch österreichisch“ erhellen, was – gerade in unserem Land – bekanntlich keine Selbstverständlichkeit ist – Respekt!

Um eine Spiegelfeld’sche Wendung aufzunehmen: Mir sind begeistert! – Dies war das Erste, das den beiden Juroren zu „Heimat ohne Vollbart – Aus dem Kampagnen-Tagebuch der Herren Meils und Moor“ von Markus Spiegelfeld eingefallen ist. Dieser Text besticht durch eine ebenso geistreiche wie tiefsinnige Analyse, die uns die Macht des Widersinns vor Augen führt. Dabei handelt es sich zweifellos um ein zeitloses Phänomen (vor allem in der Politik), das gerade in unserer Heimat eine Konstante ist. Für die höchst gelungene Erläuterung, was denn nun wirklich kein Thema sein sollte, ist Prof. Spiegelfeld der Krachmann-Preis 2006 verliehen worden. Das Rauschen im Fachblätterwald scheint vorprogrammiert, und auch eine Renaissance der Vollbartträger dürfte sich ankündigen, was die unrasierten Juroren ungemein freut.

Im vergangenen Jahr sorgte Stefan Wurst mit seinem Beitrag für den glanzvollen Auftakt des Krachmann-Preises, diesmal verdankten wir ihm den krönenden Abschluss eines wunderbaren Abends. Infolge des Begeisterungssturms, der nach seinem literarischen Feuerwerk durch die Casa Maximiliana brauste, lässt sich heute nicht mehr mit Gewissheit sagen, ob es im Waldviertel zur (ersten?) Dichterkrönung kam, oder ob diese bloß gefordert wurde. Diese Frage wird im nächsten Jahr zu klären sein. Eine Verkettung unglücklicher Umstände – Wurst war der volle Wortlaut der Ausschreibung leider unbekannt – verhinderte jedoch den totalen Triumph (au weh, zu viele W).

Nun sei den die KrachmännerInnen verwöhnenden Gastgebern – Sabina, Stefan und Max – sehr herzlich gedankt – und es sollen, weil es so gut passt, abschließend noch ein paar Zeilen aus der Feder unseres verehrten Dichterfürsten angeführt werden: „Gelabt an üppig-schwerem Schmause / Muss jeder Gast in diesem Hause, / Bevor er schwach von hinnen darf, / In diesem Buch sich sinnenscharf, / Gekonnt, voll Witz, unsterblich machen. [...] Denn es vergisst der arme Mann / In seinem schweren Fieberwahn, / Dass es ja der Teufel war, / Der einst die Idee gebar, / Dass zum guten Ton es zählt, / Wenn man seine Gäste quält, / Indem zuerst man fest sie mästet, / Bevor man ihre Dichtkunst testet.“

Graz & Wien, im November 2006