Jurystimmen

Dr. Christoph Horst, Dr. Schübl Elmar, Ranner Daniel

 

Als Strafe für die Nichtteilnahme an der Krachmannpreis-Jury 2006 wurde mir von meinen Jury-Kollegen Elmar Schübl und Daniel Ranner die zweifelhafte Ehre übertragen, die Jurybegründungen für den KMP 07 allein zu formulieren – zweifelhaft deshalb, weil das, was einem zu zweit oder dritt in der adrenalingeschwängerten Atmosphäre der einander übertrumpfenden literarischen Live-Höchstdarbietungen bei steigendem Rotweingenuss an möglicherweise witzig oder gar geistreich klingenden Blödsinnigkeiten über die Lippen kommt, in der trübsinnigen Einsamkeit vor dem Laptop unmöglich will in die Tasten tröpfeln. Wie sollte man da beispielsweise den geistreichen Blödsinnigkeiten des Markus Spiegelfeld nur annähernd  gerecht werden. (Aber der ist ja leidergottseidank heuer ausgefallen.)

Sei`s drum!

Die Widerbegegnung mit dem KMP brachte nach einem Jahr Pause gespannte, frohe und auch bange Expektationen. Wie würde ich das Eisengraberamt 83 vorfinden? Es zu  f i n d e n, blieb mir dank Victors Kopf-GPS erspart. Aber in zwei Jahren kann sich bei Landhausbesitzern viel verändert haben. Was würde mich erwarten! Eine Hollywoodschaukel vielleicht? Ein Swimmingpool gar?? Oder wenigstens eine dieser elektrischen Freiluftstehheizungen, die neuerdings die Schanigartensaison bis in den Dezember zu verlängern vermag??? Leidergottseidank nichts von alledem, dafür ein nagelneuer Knister-Blubber-Scheiterherd mit Ringschalthitzeregelung!!!
Und draußen der vertraute beißende Rauch von der Grillgrube her und die beginnend beißende Kälte, nachdem sich die fahle Oktobersonne schon früh hinter den Waldviertelwäldern versenkt.

Und jetzt die wesentlichen Fragen! Wer würde sich dem neuen KMP-Thema, „Cuius regio eius religio“ (CRER), stellen? Claqueure hoffentlich, gleich wichtig für Lesende wie Jury! Würden sie Überraschungsgäste mitbringen, vielleicht sogar ihre neuen Lover?! 

Und wer würde lesen, und was, und wie? Würde Victor Stehmann seiner All-time-Favoritenrolle gerecht werden? (Er ist! Danke auch fürs Hinführen.) Würde Reinhard Mechtler sich dem Allesthema „Cuius regio, eius religio“ ebenso pragmatisch nähern wie dem Nichtthema des letzten Jahres? (Er tat`s! Danke übrigens für`s Zurückführen.) Würde Stefan Wurst diesmal die korrekten Ausschreibungsbedingungen erhalten haben? (Er hat! Und Danke fürs Heimbringen.)

Und würde es welche geben, die den Weg (wieder nicht) finden? Würden ihre Boliden und ihr Orientierungssinn den Anforderungen dieser Waldviertelrallye gewachsen sein? Aber sogar Markus Spiegelfeld schaffte es, trotz familiärer und logistischer Schikanen, den Krachmannpokal, den er als Vorjahressieger ein Jahr lang gehütet hatte, letztendlich abzuliefern. Um den Preis der heurigen Teilnahme. Die Jury hofft auf ihn beim KMP 08.

Alles in allem, fast alles beim Alten, mit Ausnahme der fälligen Feminisierung des KMP, fulminant eingeleitet durch Sabina Loicht. Als fanatischer Gegner des Binnen-Is hoffe ich auf numerose künftige Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Soweit die Einleitung.
Auf zur Beurteilung der Texte, unter Berücksichtigung meiner Gedächtnislücken hinsichtlich der wörtlichen Wiedergabe unseres hochgeistigen Jurygequatsches. 

Bernhard Schausberger: Das Thema prägnant auf die Regio unter ihren gepröllten Häupln mit deren Religio-Realitäten fokussiert. Wie wahr, dass Herrschaft eine Frage des Maßstabs ist. In knallharter Prosa krachen hier das kleinste und das größte Territorium von Felix Austria aufeinander und man weiß: VEAIEIOU (Vindobona Et Austria Inferior Erunt In Orbe Ultimae).

Christian Ondrak
: So muss man`s sehen, und so bringt`s die Synapsen zum Tanzen. Da kann der Schönborn noch so milde aus der Kronen-Zeitung lächeln.

Gregor Zentner
: Rilke und die Brüder Grimm. In der Badewanne treffen sie sich wie die Nähmaschine und der Regenschirm auf dem Operationstisch. Oder wie der Bawag-Sozialist vor dem Weihnachtspelargonienbaum.
Günter Nowak: Das Rot der Frau Rett, das Zerwürfnis zwischen Wagner und Nietzsche, die Übermenschen Ludwig II. und Jörg I. Da brummt`s in den Köpfen der Juroren wie in denen von Robert Menasse, Michael Köhlmaier oder Franzobel. Und dann noch Peter Handke in kyrillischer Schrift. Ratlosigkeit und deshalb eine Lobende Erwähnung, mit den Optionen, sie in einem serbischen Wehrdorf in Carinthien oder im deutsch-katholischen Exil von Langenlois zu verleihen.

Michael Drucker: Das hat noch gefehlt beim KMP: Poesie! Verse, Reime (ababcdcdefef) und Strophen! Und das noch von einem Zeitgenossen (1966 - ….): Sollte das vielleicht die Krachmannpreis-Hymne werden? („Wohl an! Reiten wir zu Felde!“) Aber wer vertont sie??

Reinhard Mechtler: Da weiß einer, in welchem Gasgriff- und Tourenbereich Religions- und Regionskämpfe zwischen Garmisch und Faak am See auf dem Bike ausgetragen werden, und wie sie sich dann im Gatsch versöhnen. Begnadet formuliert: („Host Hemmungen??? Hock di her“.)

René Desor: Am Lande gelandet, keine schlechte Zwischenlandung zwischen Kirchenbesuchen und Papstvisitation. In Kleinschrift: „Tja, da bleibt nun einiges an erklärungsbedarf offen“.

Sabina Loicht: Eine kräftige Ansage: Ich will, trotz beschissenem Thema, da mitmischen. Eine neue Form: Sechs eigenständige, miteinander verwobene/verrätselte Texte. Damit eine neue Vielfalt, ein Bestehen auf Erleben, Erfahrung, Erfahren, Bewertung. Ein Wechsel der Stilmittel… Genug der Euphorie. Das Mindeste: Eine Lobende Erwähnung.

Stefan Loicht: Das Thema „CRER“ als Leitmotiv eines „genetischen Sumpfes“ von Jahrhunderten österreichischer Geschichte – so rhapsodiert der Autor als doctus-privatus-Historiker über makabre religiöse Kennmarken: Gegenpäpste, Weiberkreuzzüge und Kärntner Kalifate bis zum dunklen Hitler-Vorbild Lanz von Liebenfels, dessen Affinität zu Fritz von Herzmanovsky-Orlando unschwer im Sprachduktus des Preisbewerbers eine Parallele findet. Diese von episch bis anekdotisch, von fantasierend-delirierend bis ironisch oszillierende   Sprache und die Souveränität des Jonglierens mit Epochen, historischen Figuren und periferen Regionen machten es der Jury nicht schwer, diesen Text zum Gewinner des Krachmann-Preises 2007 zu küren.

Stefan Wurst: Ein brillanter Text in dramatisierter Form, der eine unmittelbare und eine Meta-Ebene verwebt, indem der Autor einen Autor zur Hauptfigur macht: Der ORF-Programmdirektor, also  d e r  Regio-Entscheidungsbefugte über unser aller Religio (das TV-Programm) befindet über einen Autor, also das KMP-Thema. Er entscheidet zynisch gegen alle von ihm anfangs vorgebrachten Argumente; der Autor des Autors endet in Ironie. Ein Kabinettstück des Autors: Seine Krachmannpreis-Erfahrung von 2006 wird ironisch in den Text eingebaut. Die Jury vergibt den Zweiten Preis.

Victor Stehmann
: Pinocchios Verwandlung in einen Esel und Kafkas Gregor Samsa sind nichts gegen ihren postmodernen Nachfolger Moische Frömmlich. Daran wird der Vatikan noch zu knabbern haben. In diesem Sinne: Der Dritte Platz.